Der falsche Mörder
davon weiß – es müsse sich um einen verfrühten Aprilscherz handeln.
Trotzdem wird die Gelegenheit genutzt, um wieder einmal an die damaligen Ermittlungen zum Geirfinnsfall zu erinnern und eine mögliche Wiederaufnahme des Falles zu erörtern.
Durch den Klatsch im Internet sind alle anderen Neuigkeiten in den Medien auf die hinteren Ränge verbannt worden. Zum ersten Mal seit vielen Tagen wird der Mord am Obersten Gericht nicht erwähnt.
Jackie breitet sich im ganzen Körper aus.
Aber ich fühle mich trotzdem nicht wohl.
Ich mache den Fernseher aus. Nehme meinen kuscheligsten Liebhaber mit mir ins Bett. Meinen Hausfreund, der mich nie im Stich lässt. Lege mich unter die Decke.
Ist Adalgrímur wirklich so ein verdammter Trampel und Idiot, der es vollkommen verdient hat, ein paar Jahre im Gefängnis zu sitzen?
Ich darf so nicht denken. Jedenfalls nicht, solange er mein Klient ist.
Aber vielleicht wandert er sowieso ins Gefängnis?
Jedenfalls scheint die Aufnahme der Überwachungskamera ein unwiderlegbares Beweisstück zu sein, an dem man einfach nicht vorbeikommt.
Oder doch?
22. KAPITEL
Donnerstag
N atürlich!
Die Idee hat wahrscheinlich die ganze Nacht schon im Unterbewusstsein gegoren.
Jedenfalls erscheint sie vollkommen und anschaulich in meinem Kopf, als ich wach werde. Zieht wie ein Film an meinem inneren Auge vorbei.
Ja!
Genau so könnte es passiert sein.
Ich fahre in meine weichen Hausschlappen und den warmen Bademantel. Tippele hinunter ins Büro.
Öffne den einen Aktenschrank.
Hole mir die Kopie der Aufnahmen von der Überwachungskamera im Obersten Gericht. Schiebe die Kassette ins Videogerät.
Grabsche nach der Fernbedienung und betrachte mir die Bilder genau. Diese knappe Minute, in der man Sjöfn und Adalgrímur zusammen durch den Nordeingang die kupferverkleidete Burg der Gerechtigkeit betreten sieht. Und die zwanzig Sekunden, in denen man Adalgrímur von hinten sieht, als er das Haus wieder verlässt.
Studiere jedes noch so kleine Detail. Immer wieder.
Adalgrímur hat einen dicken Wintermantel an. Und einen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf. Tief in die Stirn gezogen.
Die Kamera filmt daher nur einen Teil seines Gesichts. Und auch das nur für ein paar Sekunden.
Der Mann auf dem Video schaut nie hoch. Er guckt die ganze Zeit auf seine Füße.
Deshalb sieht man nie seine Augen. Nicht für eine einzige Sekunde.
Für einen Moment kann man den unteren Rand der Lider erkennen.
Allerdings hält die Linse die Nase fest, die Wangen, Lippen und das Kinn.
Alles andere ist unter Kleidung verborgen.
Auf dem Weg nach draußen sieht man Adalgrímur nur von hinten. Die ganze Zeit.
Aber ist er es wirklich?
Diese Gestalt könnte genauso gut jemand anderes sein. Irgendwer, der sich genial als jemand anderes verkleiden kann.
Wie Matti.
Der Gedanke ist wahnsinnig. Aber ist er auch realistisch?
Zuerst brauche ich genauere Informationen. Das ist die Aufgabe Nummer eins.
Audur!
Sie weiß mehr über Matti und seine Verkleidungen als irgendjemand sonst.
Sie muss mir helfen.
Ich nehme das Telefon. Erreiche Audur. Überrede sie dazu, mich zum Mittagessen in einem Restaurant zu treffen. Ohne ihr mein Anliegen zu verraten.
Flitze wieder die Treppe hoch. Pinsele mir ein bisschen Farbe ins Gesicht. Ziehe mich schnell an. Schaufele herrlich süße, südliche Ananas in mich hinein. Bringe meine Gehirnzellen mit zwei Tassen kohlrabenschwarzem Espresso auf Trab.
Versuche dabei, im Geiste Begründungen für diese neue Lösung des Mordes am Obersten Gericht zu finden.
Sie ist wahrscheinlich. Wenn die Voraussetzungen stimmen.
Meine These lautet, dass Matti und Sjöfn zusammen Erpressung betrieben haben. Aber als Sjöfn sich in Adalgrímur verliebt hat, hat sie aufgehört, ihm Geld unter Zwang abzunehmen.
Matti muss einen derartigen Sinneswandel ihrerseits schlecht aufgenommen haben.
Nicht nur, weil ihm dadurch viel Geld durch die Lappen ging.
Sjöfn konnte in dieser neuen und unerwarteten Rolle, die sie sich ausgesucht hatte, eine Bedrohung für ihn sein. Sie wusste sicher genug über seinen kriminellen Werdegang, um ihn ins Unglück zu stürzen.
Matti hatte daher ein eindeutiges Mordmotiv.
Wenn …
Ich setze mich an den Computer. Checke Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ab. Höre mir alles an, was seit gestern Abend auf Band gesprochen wurde. Sehe keinen Grund, warum ich die meisten von ihnen sofort beantworten sollte.
Versuche dann, mich um andere Aufgaben zu kümmern, die zu
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