Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
murmelte ich. »Noch ein Kilo Gurken, das war’s dann. Danke.«
Als ich bezahlte und den Laden verließ, war die Frau schon weg.
War auch besser so.
Früher wusste ich, dass mir solche Kleinigkeiten bleiben würden, ein interessantes Gesicht, eine komische Szene oder der kuriose Erwerb von zwei Zitronen in einer Schlange für Kartoffeln und Kohl. Denn früher hatte ich ein Haus. Ein großes Haus mit vielen Wohnungen, wenn auch nicht in der realen, sondern nur in der virtuellen Welt. Und in dieses Haus konnte ich jeden x-beliebigen Menschen pflanzen.
Damals hätte ich mich einfach an meinen Computer gesetzt und gesagt: »Vika, geh in die Tiefe !« Dann hätte ich mich an das Gesicht und die Gesten erinnert und all das hinzugefügt, was ich nicht wusste. Auf diese Weise hätte ich die Wohnung eingerichtet, in der diese Frau leben sollte.
Es brachte nichts, der Vergangenheit nachzutrauern. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine kleine Wohnung voller Gerümpel handelte, in der sich wochenlang das dreckige Geschirr in der Spüle stapelte, im Kühlschrank nur Tiefkühl-Pelmeni, Würstchen und Bier warteten, und ich mich nur von einem Prinzip leiten ließ, wenn ich ein Hemd aus dem Schrank zog: Es sollte nicht allzu verknittert sein.
Nein, dem trauerte ich wirklich nicht nach.
Pflanzenöl und Wodka wurden in derselben Abteilung verkauft. Ich inspizierte kurz das Angebot. Kristall war besser, Topas billiger. Eine einfache Entscheidung: Ich kaufte beide. Unsere Gäste würden auch was zu trinken mitbringen – aber Wodka kann man nie genug im Haus haben.
Nun konnte ich zurückkehren. Der Algorithmus war durchlaufen, das Programm wurde beendet.
Return.
End.
Mir war schon öfter aufgefallen, dass ich alles, was ich in der realen Welt zu erledigen hatte, gedanklich in Phasen unterteilte, die irgendwie den Zeilen eines simplen Programms entsprachen. Und erst in der Tiefe lebte ich ein normales, alltägliches Leben. Ohne jeden Software-Vergleich.
Vielleicht sollte ich Vika mal davon erzählen, schließlich war das ihr Gebiet. Ihr Kampfplatz. Aber nein … es wäre mir zu peinlich.
Ich verließ das Geschäft und spähte zum Himmel hoch. Graue Wolken. Bald würde es den ersten Schnee geben. Wenn es doch nur schon so weit wäre. Wie heißt es doch so schön? Es gibt nichts Besseres als schlechtes Wetter.
Doch leider war auch das bloß ein Symptom. Ein klares und alarmierendes Symptom. Ich wollte nicht mehr aus der virtuellen Welt raus, ich wollte nicht in der Welt der Menschen leben. Denn hier war es schlecht, hier war es schmutzig und ekelhaft. Manchmal wurde man hier sogar umgebracht.
Doch inzwischen nicht nur hier. Wenn Igel die Wahrheit gesagt hatte …
Erbarme dich, o Herr, der Seele deines Sklaven Bastard, der kein untalentierter Hacker war …
Früher habe ich mich immer gefreut, wenn ich einen Hacker traf. Ich war einer von ihnen, ja, vielleicht stand ich sogar eine Stufe über ihnen. Denn es gab viele Hacker – aber nur wenige von uns Divern. Und wir konnten etwas, das sie niemals hinkriegten.
Aber die Zeiten waren vorbei.
Im Grunde war das nichts Besonderes. Ich war nicht der Erste, den die Gesellschaft nicht mehr brauchte. Wo sind sie denn alle,
die Virtuosen an der Setzmaschine? Die Sattler und Glasbläser? Auch sie gehören der Vergangenheit an, treten bloß noch in Bilderbüchern für Kinder, historischen Filmen und Enzyklopädien in Erscheinung.
Von uns dagegen ist nicht mal das geblieben.
Trotzdem war ich wahrscheinlich der einzige Diver – pardon, Ex-Diver –, der eine Deep-Psychose in der schwersten Form davongetragen hatte. So schwer, dass selbst Vika bisher nicht einmal ahnte, was Sache war.
11
»Warum klingelst du?«, fragte Vika, nachdem sie mir die Tür geöffnet hatte. Sie hatte eine Schürze umgebunden, an ihren Händen klebte Hackfleisch. Schuldbewusst zog ich den Finger vom Knopf, beinah als sei ich ein Bengel, der beim Klingelstreich erwischt worden war.
»Ich hab meinen Schlüssel vergessen.«
»Bring alles in die Küche!«
Vika kehrte zu ihren Hacksteaks zurück, die erste Fuhre brutzelte bereits in der Pfanne. Ich verstaute das Gemüse im Kühlschrank, legte den Wodka ins Gefrierfach und stellte das Öl auf den Tisch.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte ich.
Vika sah mich aus den Augenwinkeln heraus an. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. »Nein. Wenn du willst, tauch noch eine Runde. Aber stell dir den Timer auf eine halbe Stunde ein, damit du den Tisch decken
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