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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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nach Anrufer. Im Labyrinth hat der Pager nicht funktioniert, die blockieren da fast alle Verbindungen. Also muss ich jetzt tatsächlich schon in der normalen Welt Deeptowns sein.
    Dschingis, Bastard, Pat, Maniac und Zuko haben sich bereits gemeldet.
    Nur Crazy Tosser bringt genug Geduld auf, meinen Anruf abzuwarten.
    Ich stelle eine Verbindung zu Maniac her und spreche den Text der SMS ins Mikro: »Ich bin drin, Schurka. Alles okay. Sag den anderen, dass alles bestens ist. Und … gebt mir etwas Zeit, ich möchte mich gern erst mal allein hier umsehen.«
    Bei den anderen brauche ich mich nicht zu melden. Ich aktiviere den Bitte-nicht-stören -Modus und stecke den Pager wieder ein. Dann sehe ich mich um.
    Ein kleiner runder Saal mit einem Durchmesser von sechs, sieben Metern. Er nimmt den ganzen unteren Raum des Turms ein.
    Auch im Innern bestehen die Wände aus poliertem weißem Stein. Über den sauberen Parkettfußboden sind Kissen verteilt, damit man auf dem Boden sitzen kann. In der Mitte des Saals führt eine hölzerne Wendeltreppe nach oben.
    Alles ist sehr schlicht und streng. Stein und Holz. Wieso haben die sich dann mit dem Tempel so lange rumgeplagt? Den hätte ich ihnen in vierundzwanzig Stunden designt.
    Ich gehe zur Treppe, berühre das Geländer aus kühlem, glattem Holz, stelle mich auf die erste Stufe und halte nach etwas Ausschau, das irgendwie ungewöhnlich ist.
    Nichts.
    Na gut, dann mal hoch in den ersten Stock.
    Die Treppe bringt mich an Wänden aus Stein vorbei, irgendwo gibt es eine Tür.
    Und Fresken! Sie ziehen sich entlang der Treppe nach oben.
    Okay, die hätte ich nicht an einem Tag hingekriegt, sondern sie erst überhaupt nicht zustande gebracht.
    Das erste Fresko ist grau und besteht aus geballtem Nebel. Nur hier und da lassen sich Gebäude erkennen, kleine, unscheinbare und einförmige Häuser, dann noch ein paar Hände, die aus dem Nebel herausragen, und Gesichter, genauer gesagt: halb verschwommene Konturen von Gesichtern.
    Der nächste Schritt, das nächste Fresko.
    Der Nebel hat sich fast gelichtet. Die Gebäude werden größer, die Stadt wächst. In den Straßen tauchen klobige Figuren auf, Autos fahren …
    Weiter.
    Jetzt erkenne ich in der Stadt bereits Deeptown wieder. Sagenhafte Wolkenkratzer, prachtvolle Paläste, Terrassen und Kanäle, Gärten und Plätze, eine bunte Menge, Leuchtreklamen, die ihr Licht gen Himmel schicken …
    Der nächste Schritt bringt mich vor eine Tür. Ich zögere kurz, dann öffne ich sie.
    Und erstarre auf der Schwelle.
    Das hier erinnert verdammt an den Park des Imperators aus dem letzten Level des Labyrinths. Er wirkt völlig friedlich. Ich bin mir fast sicher, dass dieser Park endlos ist, dass du, wenn du ihn einmal betrittst, jahrelang darin herumirren kannst. Es gäbe zahllose Wege, am wolkenlosen Himmel würde die Sonne strahlen,
durch die Seen Fische schwimmen, in den Bäumen Vögel singen. Manchmal würde es regnen, manchmal Wind gehen. Ich bücke mich, um etwas Gras auszureißen – und schäme mich deshalb ein wenig.
    Als hätte ich mit Ölfarbe auf einen Felsen gepinselt: Ljonka war hier.
    Hier ist es schön. Sehr schön.
    Am liebsten würde ich noch hinzufügen: wie in der Kindheit . Aber die hat ja jeder anders erlebt.
    Mit einem unwillkürlichen Grinsen auf den Lippen schließe ich die Tür wieder. Ich würde noch einmal hierher zurückkommen. Wann immer ich wollte …
    Der nächste Schritt, das nächste Fresko.
    Ein Wasserstrudel. Und ein Mensch. Mit einer Hand krault er, mit der anderen zieht er einen schlaffen Körper hinter sich her.
    Der legendäre erste Diver. So legendär, dass wir nicht einmal seinen Namen wissen. Es gibt Grund zur Annahme, er habe Taylor geheißen, der englischen Pünktlichkeit Hohn gesprochen und keine Logs geführt.
    Wahrscheinlich ist er deshalb auch von hinten dargestellt.
    Der nächste Schritt, das nächste Fresko.
    Es zeigt den berühmten Hack bei Microsoft! Wenn Antonio, den alle immer nur Einsteiger nannten, nicht lügt, hat sich ihm die solide Steinmauer als morscher Lattenzaun dargestellt. Das war das Loch in der Verteidigung. Mitgehen lassen hat er damals nichts – bis auf ein Autogramm von Bill Gates.
    Der nächste Schritt, das nächste Fresko.
    Es ist Bogomil gewidmet, dem sagenumwobenen Bulgaren, über den niemand auch nur das Geringste weiß. Vielleicht war dieser Hack aus sehr traurigen Gründen sein letzter Hack. Vielleicht hatte er aber auch einfach auf die Tiefe und auf seine

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