Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Spirale. Ein würdiges Ende …
Das bin ich.
Und das Fresko eben war Romka gewidmet. Kein Wunder, das ist seine Stunde gewesen, in der er aufgetrumpft hat. Als er mir bei dem Hack geholfen hat.
Ich dagegen komme nicht so gut weg.
Der Revolvermann hat die Hand erhoben, um zuzuschlagen. Mit einer blauen Feuerpeitsche, dem Warlock 9000. In einem fliederfarbenen Trichter versinkt ein Mensch …
Damals habe ich zum ersten Mal eine Abkürzung durchs Labyrinth des Todes genommen. Damit ich den Loser dort rausbringen konnte.
Sollte das die wichtigste Tat in meinem Leben gewesen sein?
Im Grunde ist dagegen nichts einzuwenden. Ich habe immer geglaubt, dass ich stolz darauf sein dürfte. Auch wenn ich nie erfahren habe, um wen es sich bei ihm eigentlich gehandelt hat. Aber das weiß niemand. Er ist zu seinen fernen Sternen aufgebrochen, in die Tiefen des elektronischen Netzes oder in eine strahlende Zukunft, die irgendwann eintreten wird … Er hat sie einfach verlassen, unsere unzulängliche, dumme Welt.
Aber warum ausgerechnet dieser Moment?
Warum ausgerechnet der Schlag – mit dem ich andere Diver ausschalte? Dieser erbarmungslose, wenn auch virtuelle Schlag gegen die beiden Diver des Labyrinths? Warum ist nicht der Moment festgehalten worden, als ich dem Loser den Weg durch eine Reihe von Monstern bahne, als ich ihn mit meinem eigenen Körper decke oder ihn über die Server der Elfen aus dem Labyrinth raushole? Als ich von der Polizei gejagt werde?
Wer hat ausgerechnet diese Situation ausgewählt?
Und weshalb?
Okay, vermutlich sollte damit vor allem eins erreicht werden: Sowohl ich wie auch alle anderen werden mit diesem Fresko an eine schlichte Wahrheit erinnert. Man kann das Böse durchaus in etwas Gutes verwandeln – man darf dabei nur nie vergessen, welches Ausgangsmaterial man gewählt hat.
Mit glühendem Gesicht wende ich mich von dem Bild ab.
Dann steige ich ins letzte Stockwerk des Turms hoch, in die Kristallkugel.
In gleißendes Licht.
Die Kugel ist nicht glatt, sie ist aus Tausenden von winzigen Vielecken zusammengesetzt. Da sich das Sonnenlicht in jedem
einzelnen von ihnen bricht, ist es auf einmal viel heller. Als ob ich in Abertausenden von Sonnen stehen würde.
Ich trete an die gewölbte Wand heran, lehne mich gegen sie, verschmelze mit ihr, spreize die Beine, breite die Arme aus und umfasse das Licht.
Die Sonne in den Augen.
Die Welt unter mir.
Es ist schwer, durchs Licht hindurchzusehen.
Doch da unten liegen die Paläste und Wolkenkratzer Deeptowns, die Brücken, Straßenüberführungen, Plätze, Straßen, Parks, Gärten, Schwimmbecken und Alleen. Hier scheint die Sonne, dort regnet es. Dort tagt es gerade, da bricht gerade die Nacht herein.
Ja, wir sind tatsächlich nur ein Spiegelbild der realen Welt. Mit dem einzigen Unterschied, dass wir ein etwas groteskes und konzentriertes, ein etwas körperhafteres Spiegelbild sind.
Ich hole den Pager raus, auf dem nach wie vor neben den Namen der anderen ein Licht schimmert, weil sie auf meinen Anruf warten. Dick hat jedoch immer noch keine Verbindung mit mir aufgenommen. Gut, ich würde später anrufen.
Habe den Tempel gefunden, simse ich an Ilja. Adresse anbei.
Dann drücke ich auf den Knopf Adresse hinzufügen . Jetzt, wo sich der Tempel in Deeptown materialisiert hat, gibt es endlich eine Adresse. Sie wird automatisch an meine Nachricht angeheftet.
Das dürfte es gewesen sein. Jetzt kann ich nur noch warten.
Bis der Brief eintrifft, den ein Freund aufgegeben hatte, der inzwischen tot ist. Bis ich wissen werde, was Deeptown auszulöschen vermag. Vielleicht werde ich mit diesem Wissen Dibenko erpressen. Vielleicht werde ich aber auch bloß einen Skandal lostreten.
Doch in jedem Fall würde ich mich rächen.
Gerade als ich den Pager wieder wegstecken will, fängt er an, sanft zu vibrieren. Da ich den Bitte-nicht-stören -Modus aktiviert habe, teilt mir das Programm auf diese Weise mit, dass ich eine Nachricht erhalten habe.
Ob sie von Crazy ist?
Ich werfe einen Blick aufs Display: Niemand, der im Adressbuch auftaucht.
Sicher, ich sollte die SMS besser erst nachher lesen, sie würde sich schon nicht in Luft auflösen. Aber …
… ein wenig Neugier schadet nie.
Ich rufe die Informationen über den Absender ab.
Sie sind ausgesprochen dürftig.
Dmitri D.
Ein leichtes Zittern erfasst mich.
Ich rufe die SMS ab. Leonid! Wir müssen miteinander reden!
Das Symbol für den Brief erlischt, stattdessen leuchtet ein Telefonhörer auf.
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