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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Das ist eine Aufforderung, jetzt Verbindung aufzunehmen.
    Okay …
    Der Pager braucht ein paar Sekunden, bevor das kleine Display sich vergrößert hat und auf ihm ein Gesicht erscheint.
    Ein graue, nebelumwogte Kontur über dem Stehkragen eines schwarzen Mantels.
    »Hallo, Diver«, sagt der Mann Ohne Gesicht.
    »Hallo, Dibenko«, gebe ich zurück.
    Schweigend starren wir einander eine Weile an, obwohl es kaum was zu sehen gibt, schließlich haben wir uns seit dem letzten Mal nicht groß verändert.
    »Wir müssen miteinander reden«, wiederholt Dmitri Dibenko, der Mann hinter dem Deep-Programm, der Vater der Tiefe . »Das wird ein unangenehmes Gespräch, aber es ist nun mal unvermeidlich. «
    »Und worüber?«, erwidere ich.
    »Wart’s ab!« Der Stimme nach zu urteilen, ist Dibenko völlig gelassen. »Zunächst mal räume ich ein, dass ich dich erneut unterschätzt habe. Im Übrigen: meinen Glückwunsch!«
    »Wozu?«
    »Wie, wozu? Immerhin hast du den Tempel erreicht.«
    Alles klar, den Wink hab ich verstanden. »Dann komm zur Sache.«
    »Nicht so.« Das inexistente Gesicht scheint zu grinsen. »Nicht über den Pager. Wer weiß, wer da alles mithört. Besser, wir treffen uns.«
    »Wo?«
    »Bei dir, würde ich vorschlagen, im Diver-in-der- Tiefe -Tempel. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast. Ich könnte in drei Minuten da sein, ich bin nämlich schon auf dem Weg.«
    Aha.
    So ein Pager ist wirklich eine unsichere Sache …
    »Okay.« Ich hoffe inständig, dass mein Gesicht ungerührt bleibt, dass ich nicht versehentlich den Befehl »Verwirrung« gegeben habe. »Ich lasse dich rein.«
    Mit diesen Worten beende ich das Gespräch.
    Die Ereignisse nehmen ja eine rasante Wendung!
    Am besten rufe ich sofort die anderen an, damit sie alle herkommen … Stopp!
    Genau das durfte ich nicht tun.
    Ich bin ein Diver.
    Und nur ein Diver kann dem Schuss aus einer Waffe der dritten Generation entkommen.
    Also sollte ich höchstens Crazy anrufen.
    Oder, nein, auch das sollte ich besser bleiben lassen.
    Denn alles, was ich sage, kann gegen mich verwendet werden – und gegen diejenigen, die bei mir sind.
    Ich gehe zur Treppe und stiefle ganz langsam wieder nach unten.
    Halt!
    Hier fehlen die Fresken ja!
    Genauer gesagt, die Spirale besteht hier aus leeren Rechtecken, die erst noch ausgefüllt werden müssen. Sie zieht sich nach unten, die beiden Bildbänder sind in Form einer Doppelhelix angeordnet, genau wie die DNA.
    Aber wie sollte es anders sein? Ich bin über die Vergangenheit der Diver hochgekommen – jetzt gehe ich über ihre Zukunft runter. Diese Fresken müssen noch gezeichnet werden – sofern die Zukunft eintritt.
    Ich gehe an künftigen Siegen und Niederlagen, an Heldentaten und Gemeinheiten und an verschlossenen Türen, hinter denen die Zukunft wartet, vorbei hinunter ins Parterre.
    Die Eingangstür öffne ich genau in dem Moment, als der Mann Ohne Gesicht aus dem Auto steigt. Natürlich ist er nicht allein. Er hat zwei Bodyguards an seiner Seite. Ich erschaudere – denn unwillkürlich schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass einer von den beiden vielleicht Romkas Mörder ist.

110
    Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht Verwirrung, allgemeine Verwirrung. Der Rolls-Royce steht mitten im Wald, Dmitri Dibenko mit seinen Schlägern davor. Die Bodyguards haben die Hand auf den Pistolen, der Chauffeur lugt neugierig durchs Fenster. Ich beobachte das Ganze von der Tür des Diversin-der- Tiefe -Tempel aus.
    Nun kommt Dibenko auf mich zu. Er bedeutet seinen Leibwächtern, die ihm schon nachwollen, beim Wagen zu warten.
    Die Jungs blicken ziemlich finster drein, es behagt ihnen offenbar nicht, ihren Augapfel allein zu lassen. Dennoch gehorchen sie.
    »Lässt du mich rein, Leonid?«, fragt Dibenko, als er vor dem Tempel steht.
    »Ja. Aber nur dich.« Ich habe keine Ahnung, wie die Verteidigung des Tempels funktioniert, aber es dürfte nichts schaden, das klarzustellen. Daraufhin trete ich zur Seite. Dibenko will reinkommen – stößt aber auf eine unsichtbare Barrikade.
    »Verdammt, jetzt gib mir schon die Hand!«, zischt er.
    Die Bodyguards stieren ihren allmächtigen Boss an, der sich in einem unsichtbaren Spinnennetz verheddert zu haben scheint.
    »Verlierst du dann auch nicht dein Gesicht?«, bemerke ich grinsend, reiche ihm aber die Hand. Sobald wir einen Handschlag austauschen, kann Dibenko eintreten.
    »Wie willst du etwas verlieren, das du gar nicht hast?«, blafft er.
    Ohne ihm darauf zu antworten,

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