Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Diver-Fähigkeiten gepfiffen und sich zur Ruhe gesetzt. Die Summe,
um die er die Bank erleichtert hatte, sollte jedenfalls für ihn, seine Kinder und sogar seine Enkel reichen.
    Er hatte im Übrigen einen sehr eigenen Sinn für Humor. Wie sonst ließe sich erklären, dass er eine Schweizer Bank in einem Kostüm von Wilhelm Tell ausgeraubt hatte?
    Das nächste Fresko.
    Das ist einer von uns, aus Russland. Mist, jetzt komme ich nicht auf den Namen … Aber an seine Geschichte erinnere ich mich. Er hat einen Jungen gerettet, der bei einem Spiel völlig die Zeit vergessen hatte. Seine Eltern waren für eine Woche verreist – und er hatte freien Zugang zum Netz. Der Junge wurde nach drei Tagen aus der Tiefe geborgen, mehr tot als lebendig.
    Das nächste Fresko.
    Und noch eins.
    Immer weiter …
    Wir sind alle hier. Jeder hat ein Bild erhalten, unabhängig von seinem Bekanntheitsgrad und seinen Fähigkeiten. Ohne dass nach guten und schlechten Taten unterschieden worden wäre. Nichts wurde beschönigt, nichts dazugedichtet.
    Und über jeden gibt es etwas zu berichten, das sozusagen zu seiner Visitenkarte geworden ist.
    Fresken und Stufen.
    Stufen und Türen.
    Ich gehe Stockwerk um Stockwerk weiter nach oben, betrachte jedes Bild, öffne jede Tür …
    Jetzt wird mir auch klar, warum der Tempel selbst nicht sonderlich groß ist. Wozu? Wenn es genug Raum in den Räumen gibt.
    Ein endloser Garten und riesige Labyrinthe aus Gängen und Sälen mit beeindruckendem Echo …
    Eine strahlende Sonne, ein Restaurant auf einem Berggipfel mit Wänden aus Kristall und Silber; die Aufschrift Olymp auf dem Besteck könnte treffender nicht sein …
    Eine Flussbiegung im Abendnebel, mit einer kleinen Jacht, die am Ufer schaukelt …
    Fester und elastischer Wolkenschaum, eine Einladung, über den Himmel zu spazieren …
    Mit einem Mal geht mir auf, dass ich neidisch auf diejenigen bin, die den Tempel erbaut haben. Dass ich einen maßlosen, blinden Neid empfinde, der angereichert ist mit einem wütenden Hass auf mich, den Idioten, der sich seine kleine reale Welt aufgebaut hat … ohne wirklich etwas davon zu verstehen … und nicht einen Handschlag getan hat, um diesen in der Tiefe verborgenen Tempel zu errichten.
    Flucht ist letztlich nie ein Ausweg – denn du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen.
    Fresken. Türen. Gesichter. Taten.
    Hier ist alles vorhanden. Nichts ist vergessen. Sicher, man kann darüber streiten, ob der Ruhm des Roten Hundes auf dem Hack eines unknackbaren Programms – ein Emulator für Gerüche in der Tiefe – oder auf seiner Arbeit bei Interpol basiert. Mir gefällt jedenfalls, dass er auf dem Fresko in Uniform dargestellt ist.
    Und da ist auch Crazy Tosser!
    Aber nicht bei der Arbeit im Labyrinth des Todes! Nein, er ist mit einem Filter dargestellt, der eine traurige Berühmtheit erlangte. Mit ihm wurde ein halbes Jahr lang ein Großteil der Korrespondenz in der Tiefe kontrolliert! Und zwar nicht für ein bestimmtes Ziel, nicht um Material zu finden, mit dem jemand kompromittiert werden konnte, oder um Passwörter zu knacken, sondern einfach um zu zeigen, dass das Briefgeheimnis auch in der Tiefe nicht gewahrt wird.
    Nur hätte ich nie im Leben vermutet, dass dieser Filter auf Crazy zurückgeht!
    Ich steige Stufe um Stufe nach oben. Fresken, Gesichter, große, kleine und winzige Taten.
    Dann müsste ich hier auch irgendwo sein!
    Mir wird mulmig.
    Was würde ich wohl sehen? Wer hat nach welchem Prinzip die Augenblicke ausgewählt, um sie hier auf den Fresken festzuhalten? Was hat er aus meinem Leben gewählt, damit es in grellen Farben im rohen Putz erstrahlt, damit es für immer im Tempel verbleibt?
    Ich gehe noch ein paar Schritt weiter – und sehe die Antwort.
    Gelber Sand. Der graue, versteinerte Rumpf eines Dämons, der in seiner Hand den Faden einer Brücke hält. In der Ferne ragen die Türme von Al Kabar auf. Ein Wolf sitzt in fast menschlicher Pose im Wüstensand. Und ich sehe mich, wie ich in der lächerlichen Kleidung eines russischen Recken einen Hang hinunterlaufe, auf die ausgestreckte Pfote des Dämons zu.
    Gut. Dafür brauche ich mich nicht zu schämen. Ich habe Al Kabar die Daten nicht mal geklaut! Die haben sie mir ja sogar geschenkt.
    Mit einem verwirrten Lächeln gehe ich weiter nach oben. Der Turm endet bald, ich habe die Kristallkugel fast erreicht.
    Fresko um Fresko.
    Stopp.
    Es ist Zeit, mich von meiner Arroganz zu kurieren.
    Ich betrachte das letzte Fresko in der Reihe, am Ende der

Weitere Kostenlose Bücher