Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Stimme. Mit so einem Ausruf zertrittst du Ziegelsteine. Äußerlich ist er übrigens ein zweiter Jackie Chan.
»Ich rühr mich ja gar nicht vom Fleck«, antworte ich. Nach der Begegnung mit dem Dark Diver jagt mir die Polizei Deeptowns nicht mehr die geringste Angst ein.
»Das Halfter ab! Auf den Boden damit!«
Ich gehorche.
Während der Polizist auf mich zukommt, behält er mich im Visier seines massiven Revolvers. Vorsichtig späht er ins Taxi. Die Gesichtszüge entgleiten ihm.
»Er ist nicht tot, er stinkt bloß«, erkläre ich ihm höflich.
»Das wird dich teuer zu stehen kommen …«, informiert mich der Polizist begeistert. Mitleid mit dem Fahrer liegt nicht in seiner Stimme. Außerdem weiß er, dass es in Deeptown keinen echten Tod gibt.
»Da bin ich anderer Ansicht.«
Das Halfter mit der Waffe des Revolvermanns musste ich zwar ablegen – aber ich habe ja noch Dibenkos Pistole. Und das ist nicht der Zeitpunkt, lange zu fackeln. Mir bleiben nur zwei Stunden, um mir über mein Vorgehen klar zu werden. Für eine Auseinandersetzung mit der Polizei ist da kein Platz.
Mit einem mehr als erstaunten Blick versteinert der Polizist und fällt rücklings zu Boden, die Hand immer noch fest um die Pistole geschlossen.
Als ich an ihn herantrete, zittere ich leicht. Ich sehe Jackie Chan ins Gesicht. Was, wenn mich Dibenko in puncto der ersten fünf Kugeln angelogen hat?
Der Polizist redet so schnell los, dass das Übersetzungsprogramm absäuft und ich seine Muttersprache zu hören kriege. Ach ja, wenn ich doch nur etwas mehr Chinesisch verstünde …
»Was hast du gemacht?« Endlich bewältigt das Programm seine Aufgabe wieder. »Was hast du gemacht, du Dreckskerl? Was hast du mir angetan?«
»Keine Sorge«, beruhige ich den Ordnungshüter. »In einer Viertelstunde klingt die Lähmung ab. Die Polizei hat doch Lähmungswaffen in Auftrag gegeben, oder? Wie du siehst, wurde der Auftrag zur vollen Zufriedenheit ausgeführt!«
Ich lasse ihn am Boden liegen. Mag er sich am Anblick des Himmels freuen.
Es dürfte der Polizei von Deeptown nicht schaden, einmal über die Folgen ihres Auftrags nachzudenken. Ich weiß nicht, ob man die Zeit zurückdrehen kann, ob man den Dschinn wieder in der Flasche einsperren kann.
Aber vielleicht würde Kommissar Jordan Raid dieser kleine Trick ja gelingen. Er ist schließlich kein dummer Mann.
100
»Du bist spät dran«, bemerkt Dschingis.
Ich nicke ihm zu und betrete die Wohnung.
Nichts in meinem Äußeren zeugt noch davon, dass ich vor Kurzem in einer dreckigen Straße gelegen und ein paar einfache Saltos vollführt habe und mit einem Gemisch aus Blut und Siliziummasse bespritzt worden bin.
Der Dreck bei uns in Deeptown kann sich sehen lassen. Er ist elektronisch, trocknet schnell – und fällt dann einfach ab. Allerdings fühle ich mich noch schmutzig. Vielleicht sollte ich kurz in den Jacuzzi springen? Natürlich nur, wenn er nicht randvoll mit Bierflaschen ist …
»Ich hatte eine Unterhaltung mit dem Dark Diver.«
»Oho.« Dschingis nickt in Richtung Bibliothekstür. »Dann lass uns da reingehen, und du erzählst alles! Die anderen sind schon da!«
»Alle?«
»Bis auf Pat. Ich habe ihn dazu verdonnert, Hausaufgaben zu machen. Das kann zwischendurch auch mal nicht schaden.«
In der Bibliothek haben sich in der Tat schon alle versammelt. Die Stimmung ist jetzt ganz anders als vor unserem Aufbruch ins Labyrinth. Ruhiger, würde ich sagen, und gleichzeitig trauriger. Maniac und der Magier sitzen am Kamin, reden über etwas
und trinken Whisky. Was für merkwürdige Angewohnheiten sich die beiden in Amerika doch zugelegt haben. Bastard ist wie immer in seinem Element. Eine lange Reihe von Shiguljowskoje-Flaschen steht vor ihm, die eine Hälfte leer, die andere voll. Inzwischen bin ich ziemlich neugierig auf dieses Bier, ich muss es wohl mal in der Realität probieren. Womöglich hat sich sein Geschmack in den letzten Jahren ja verbessert …
»Der Dark Diver hat mir ein Ultimatum gesetzt«, erkläre ich anstelle einer Begrüßung. »Ich habe zwei Stunden … genauer gesagt, zwei Stunden minus zehn Minuten, um ihm die Dateien von Dibenko zu geben. Danach dürften wir mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen haben.«
Maniac gießt mir wortlos einen Whisky ein. Ich lange nach dem Glas und berichte, was in Chinatown vorgefallen ist.
Als ich fertig bin, kann ich von den zwei Stunden gleich noch mal fünfzehn Minuten abziehen. Dschingis qualmt eine Zigarette nach der
Weitere Kostenlose Bücher