Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Geflecht von Drähten zutage tritt.
Ein Cyborg. Ein angepunkter Cyborg. Wie klassisch!
Meine Hand agiert unabhängig von mir weiter, ich gebe einen zweiten Schuss ab, und die Kugel erledigt den Cyberpunk.
Der Kopf mit dem bunten Hahnenkamm wird völlig zerfetzt. Blut, Dreck, ein klebriger grauer Schleim, zermatschte Mikrochips und verhedderte Drähte fliegen herum.
Was für eine ekelhafte Füllung bei einem derart klassischen Cyberpunk.
Ich öffne die Tür und lasse mich aus dem Wagen fallen. Kaum bin ich im Staub gelandet, bringe ich mich hinter einem Reifen vor demjenigen in Deckung, der das Feuer auf mich eröffnet.
»He, Leonid!«
Die Stimme kommt mir vage bekannt vor. Ich erwidere kein Wort und versuche zu eruieren, wo der Feind lauert. In meinem Kopf herrscht gewaltiges Chaos.
Die Munition aus der Waffe der dritten Generation hat versagt – aber nicht, weil Dibenko mich getäuscht hat.
Sondern weil ich damit auf jemanden geschossen habe, der kein Mensch war.
Auf eine künstliche Intelligenz. Oder, wie manche es auch nennen, auf eine zweite Natur.
Die Munition der zweiten Generation hat mich dann gerettet. Keine Ahnung, ob ich den Cyberpunk für immer erledigt habe oder ob er nur eine gewisse Zeit braucht, um sich wieder zusammenzusetzen, die einzelnen Komponenten seines Wesens aus einem Teil des Netzes in einen anderen zu transferieren. Aber selbst wenn ich dem Cyberpunk irreparable Schäden zugefügt haben sollte, fühle ich mich nicht wie ein Mörder.
»Warum so aggressiv, Ljonka?«
Die Stimme klingt amüsiert, sogar lustig.
»Wer hat denn mit der Schießerei angefangen?!«, schreie ich und hechte zum anderen Rad.
»Oh, ich habe nur mit Lähmungsmunition geschossen. Ich will dich nicht umbringen, das musst du mir glauben!«
»Du bist der Dark Diver!«
»Ja, auch diesen Namen gibt man mir …«
Wenn ich mich danach nicht gesehnt habe!
Irgendwo am Rand von Chinatown im Dreck zu liegen, versteckt hinter einem Taxi, in dem eine künstliche Intelligenz liegt, die ich getötet habe. Und mit dem Dark Diver zu reden, der obendrein bewaffnet ist.
Ich stecke die Waffe des Revolvermanns weg und hole erneut Dibenkos Pistole heraus. Kurz darauf ziehe ich auch die Waffe des Revolvermanns wieder hervor.
Sicher ist sicher.
»Ich nehme es dir nicht übel, dass du den Taxifahrer ermordet hast, Leonid. Alle Achtung, du bist schnell dahintergekommen, dass du ihn mit einer Waffe der zweiten Generation erschießen musst! Aber, wie gesagt, ich bin deswegen nicht sauer. Von der Sorte gibt es dank Dima Dibenko inzwischen genug. Und sie lassen sich sehr leicht lenken. Sie sind so impulsiv wie Teenager … Manchmal frage ich mich sogar, ob sie nicht tatsächlich intelligent sind.«
»Was willst du von mir?«
Wo steckt er? Ich sehe die Mauer, doch ich entdecke den Dark Diver nirgends.
»Ich will mit dir reden, Leonid. Mehr nicht! Das war auch der Grund, weshalb ich zu Dschingis gekommen bin, aber da habt ihr euch ja höchst ungastlich verhalten …«
»Sprich!«, verlange ich.
Dafür ernte ich ein leises Lachen. »Du hast nicht gerade eine optimale Position für ein Gespräch.«
»Keine Sorge, ich finde auch in dieser Position meine Argumente«, antworte ich und richte beide Waffen auf die Mauer. »Also, was hast du auf dem Herzen?«
»Ich will die Dateien, Leonid.«
»Welche Dateien?«
»Spiel hier nicht den Dummkopf! Ich brauche die Dateien, die Bastard und Romka Dibenko abgeluchst haben. Die zwei und ich, wir hatten einen Vertrag.«
»Du hast sie ans Messer geliefert, du Schwein! Damit kannst du dir deinen Vertrag sonst wo hinschieben!«
Gibt es in Chinatown eigentlich eine Polizei? Nachdem wir so durch die Straßen gebrettert sind, hätten wir doch schon längst festgenommen werden müssen. Genauer gesagt, man hätte versuchen müssen, uns festzunehmen.
»Nun mach mal halblang!«
Täusche ich mich etwa oder klingt seine Stimme jetzt völlig ernst?
»Ich habe nicht wissen können, dass man mit einer Waffe der dritten Generation auf die beiden losgeht! Und ja, ich habe darauf bestanden, dass Bastard Romka mit auf diesen Hack nimmt.«
Hört, hört.
Damit war Bastard nicht rausgerückt – obwohl er sich mit diesem Hinweis völlig aus der Affäre hätte ziehen können.
Dieser grobe, laute und zynische Hacker …
»Der Junge brauchte das! Er wollte seinen Weg im Leben finden. Und ohne diese dumme Tragödie hätte er ihn auch gefunden. Ich wollte ihm helfen. Glaubst du mir das?«
Ich liege auf dem
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