Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Jahr. Dibenkos Programme würden es ihm erlauben, seinen Verstand in die Tiefe zu transferieren.«
»Nicht seinen Verstand«, bemerkt Dschingis. »Sondern die Illusion seines Verstandes.«
»Jeder Verstand ist eine Illusion.« Der Dark Diver lässt sich nicht einmal dazu herab, sich Dschingis zuzuwenden. »Meirman würde seine Art zu denken in die virtuelle Welt kopieren, seine unorthodoxen,
paradoxen Einfälle, seine Methode, Fakten zu analysieren … Sicher, er würde etwas verlieren. Aber er würde auch etwas gewinnen. Ihm würden alle Informationen aus dem Netz zur Verfügung stehen. Er würde auf jede Frage eine Antwort erhalten – sofern diese existiert.«
»Das ist Demagogie.« Dschingis versucht offenbar ebenfalls, auf Zeit zu spielen. »Denn du setzt einen etwaigen Nutzen und das Leben eines Menschen gleich.«
»Ihr seid mir die Richtigen, um mir etwas über Moral beizubringen«, antwortet der Dark Diver gelassen. »Hacker, Diver, Geschäftshaie … um nur einmal das zu nennen, was auf der Hand liegt. Hör auf, Zeit zu schinden, Dschingis. Ich brauche die Dateien. Und ich werde sie bekommen. Das ist mein völliger Ernst. Ihr habt doch besprochen, mir die Dateien zu überlassen. Also rückt sie endlich heraus! Ansonsten habt ihr die Wahl: Entweder ihr bleibt bei eurer Entscheidung, mir die Daten zu geben, oder ihr zieht es vor, sehr wahrscheinlich zu sterben. Seid ihr sicher, dass ihr dieses Risiko eingehen wollt?«
»Wenn wir erst mal tot sind, kommst du erst recht nicht an die Dateien heran«, hält Dschingis ihm vor Augen. »Sie sind mit vier Passwörtern verschlüsselt.«
»Das weiß ich. Aber ich bin zu diesem Schritt gezwungen. Und sei es nur, damit Dibenko etwas entgegenkommender wird. Ich könnte keine Außenstehenden töten, um ihm zu beweisen, dass es mir ernst ist. Aber euch … Ihr habt euch schließlich freiwillig in diese Situation gebracht. Denn ich habe euch doch gewarnt, oder?«
Niemand erwidert etwas darauf. Mich hindert daran allein schon die Tatsache, dass ich ständig mein Mantra wiederhole. Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein …
Aber sie will mich nicht freigeben. Unter gar keinen Umständen. Wenn ich nur wüsste, wie der Dark Diver das anstellt. Dafür
muss er nämlich nicht bloß den virtuellen Raum kontrollieren —dafür muss er mich in irgendeiner Weise direkt beeinflussen.
»Ihr alle habt etwas, das ihr verlieren könnt.« Der Dark Diver tritt an den Kamin heran und hält die Hände ans Feuer. »Für eine Idee zu sterben ist edel. Aber ist diese Idee euer Leben auch wirklich wert? Folgender Vorschlag: Ich zähle jetzt bis sieben. Dann …«
In seiner Stimme liegt eine bestimmte Sicherheit, Gleichgültigkeit, Kraft. Etwas, das uns alle Hoffnung nimmt.
Er würde auf den Abzug drücken. Ich würde noch spüren, wie mein Herz einen letzten stumpfen Schlag tut, bevor es stehen bleibt. Natürlich nicht für immer, sondern nur für fünfzehn Minuten …
Ich würde noch am Leben sein, ich würde spüren, wie ich in einen bodenlosen Abgrund stürze. Möglicherweise würden die Wände aus Feuer und Eis immer weiter auf mich zurücken. Nur würde dann vor mir kein warmes Licht schimmern.
Und der Flug würde nie enden.
Irgendwann würde Vika mich finden, mein bleiches, totes Gesicht unter dem Helm erblicken.
»Du bist ein Dreckskerl, Diver!« Ich lausche meiner Stimme nach: Irgendjemand scheint an meiner Stelle zu sprechen. »Du bist ein Dreckskerl, aber du hast recht. Diese Idee ist unser Leben nicht wert. Deshalb bin ich bereit, dir die Dateien zu überlassen. «
Der Dark Diver nickt lächelnd. Dass ich ihn beleidigt habe, steckt er ohne mit der Wimper zu zucken weg.
»Du kriegst die Dateien …«
Das ist Dschingis.
»Dann bleibt nur noch unser großer Hacker.« Der Dark Diver sieht Bastard an. »Komm schon, tu nicht so, als ob du dich nur mit einer Tastatur unter den Fingern verständigen kannst. Das
ist ein hübscher Gedanke, aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Also? Schließt du dich der Meinung der Freunde an?«
»Ja!«, brüllt Bastard.
»In dem Fall schlage ich folgendes Vorgehen vor.« Der Dark Diver nimmt das Handy vom Kamin, hält es ans Ohr und nickt. »Ich rufe jetzt … den echten Pat an, der gerade brav die verhasste russische Sprache büffelt. Dschingis, du wirst ihn bitten, die Dateien zu öffnen und sie in die Tiefe zu schicken. Hierher, auf den Zeitungstisch. Das dürfte er hinkriegen, oder?«
»Er kennt unsere Passwörter nicht, du Blödmann«,
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