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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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spät.
    Pats erster Schuss gilt mir.
    Der zweite Dschingis, der sich umgedreht hat und seinen Augen nicht traut.
    Der dritte Bastard, der sich gerade aus dem Sessel erhebt.
    Das ist keine Explosion einer blauen Spielzeugflamme, wie in der echten Pistole im Labyrinth des Todes. Das ist eine blaugraue Spirale, die kurz vor deinen Augen aufblitzt und rotiert, um dann blitzschnell alles Leben aus deinem Körper zu saugen.
    Was für ein seltsames Gefühl!
    Wie bei einer Lokalanästhesie … nur eben am ganzen Körper. Mein Körper ist noch vorhanden, ich spüre ihn … aber er gehorcht mir nicht mehr. Ich bin eine Holzpuppe, wie Pinocchio, und ungefähr so beweglich wie ein Baumstamm.
    Dafür verspüre ich wenigstens keinen Schmerz, als ich falle.
    Und ich schaffe es, höchst erfolgreich zu Boden zu gehen. Ich sehe Dschingis und Bastard, die schlaff in den Sesseln hängen.
    Und Pat, der neben ihnen steht.
    Der Dark Diver.
    Wie dumm.
    »Pat!«, schreit Dschingis. Sprechen können wir also auch. Sehr schön. Das gibt uns eine Chance. »Was ist denn mit dir los?«
    Mit unserm Pat wahrscheinlich gar nichts.
    Dieser Pat senkt die Pistole und tritt an mich heran.
    »Pat!«, brüllt Dschingis noch einmal.
    Der Dark Diver beugt sich über mich. »Deine zwei Stunden sind um«, raunt er mir zu. »Ich warte auf eine Antwort.«
    Es ist ziemlich schwierig, die Worte herauszubringen. Wie Dschingis es geschafft hat herumzubrüllen, ist mir ein Rätsel. Trotzdem bringe ich die Worte durch meine taube Kehle. »Nimm die Maske ab! Mach dich nicht auch noch über uns lustig!«
    Pat grinst und führt mit einer mir vertrauten Geste die Hände zum Gesicht, um sie dann von oben nach unten zu ziehen. Er setzt sich ein neues Gesicht auf. Obendrein werden seine Schultern breiter, und er wächst ein wenig. Die Uniform verändert die Farbe, reißt auf und verwandelt sich in einen schwarzen Mantel.
    Jetzt steht Dmitri Dibenko vor uns. Nicht der Mann Ohne Gesicht, sondern Dibenko, wie wir ihn alle von Fotos kennen. Von alten Aufnahmen, auf denen er verlegen lächelt, verblüfft, ein Mann, der noch nicht weiß, was er angerichtet hat.
    »Dschingis, das ist nicht Pat«, sage ich. »Das ist der Dark Diver.«
    Dschingis stößt ein leichtes Stöhnen aus, als versuche er, sich zu erheben.
    »Gefällt dir das besser?«, fragt der Dark Diver geradezu erheitert. »Ja? Oder wäre dir ein anderes Äußeres lieber? Vika, Maniac, Kommissar Raid, Crazy … Doch genug mit dem Geschwätz. Ich will die Dateien, Leonid!«
    Ich hülle mich in Schweigen. Eine Viertelstunde, dann würde die Lähmung nachlassen. Das musste sie einfach.
    »Ihr schätzt die Situation nicht ganz richtig ein.« Der Dark Diver betrachtet erst den verstummten Dschingis, dann Bastard, der wütend die Augen aufreißt, aber ebenfalls keinen Ton herausbringt. »Noch greife ich zu humanen Methoden. Eine kurzzeitige Lähmung von fünfzehn, zwanzig Minuten. Erhalte ich in
dieser Zeit nicht die dechiffrierten Daten, wiederhole ich die Prozedur … Und das wäre wirklich unschön für euch …« Er legt eine kurze, vielsagende Pause ein. »Denn ich habe nur noch eine Lähmungskugel. Alle anderen führen zu Herzrhythmusstörungen. Meiner Ansicht nach sind diese Kugeln der Munition vorzuziehen, die Romka getötet hat. Aber es wäre doch trotzdem … unschön, oder nicht? Wenn der Kopf noch denkt, Hände und Füße noch warm sind – und das Herz dann einfach aufhört zu schlagen. Fünfzehn Minuten … das hält kein Gehirn aus. Bei den Experimenten von Dibenko wurden diese psychopathischen Freiwilligen mit einer Herzmassage gerettet. Aber hier sehe ich leider nirgends eine Ärztebrigade …«
    »Du wärest bereit, uns zu töten?«, hake ich nach.
    »Wäre ich das?«, bringt der Dark Diver gleichgültig heraus. »Ich weiß nicht. Ihr könnt natürlich davon ausgehen, dass ich nur bluffe. Das ist euer gutes Recht … in der nächsten Viertelstunde. Aber ich stehe für ein neues Leben, das gern das Licht der Welt erblicken würde. Ich stehe für eine neue Welt. Für neue Horizonte. Ich weiß Millionen von Menschen hinter mir, die nie ein ewiges Leben erlangen werden, solange Dibenko zögert, zaudert und experimentiert. Habt ihr schon einmal von einem Mann namens Wolf Meirman gehört? Ich vermute nicht. Das ist ein junger Wissenschaftler, der kurz davor ist, eine einzige Feldtheorie vorzulegen. Doch er ist an Leukämie erkrankt und wird bald sterben. Ihm bleibt noch ein halbes Jahr, wenn’s hochkommt ein

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