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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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willen, Ljonka, was ist denn los?« Vika setzte sich zu mir. Sie trug ein Kostüm und Pumps, hatte Lippenstift aufgelegt. Wahrscheinlich wollte sie gerade zur Arbeit gehen.
    »Habe ich geschrien?«, fragte ich, während ich mich hochsetzte.
    »Und wie! Als ob du zerhackt wirst!«
    In ihren Augen lag echte Angst.
    Verständlich. Denn auch ich erinnerte mich an diesen Schrei.
    »Ich habe geträumt«, sagte ich. »Ich hatte einen Alptraum.«
    »Von der Brücke über dem Abgrund?«
    »Mhm.«
    Ich hatte ihr zwei von meinen ersten Träumen mit der Eis-und der Feuerwand erzählt. Es war nicht so, dass sie mich völlig aus der Bahn geworfen hatten. Jeder, der regelmäßig mit dem Deep-Programm in die Tiefe geht, kennt diese grellen Träume. Mich irritierte jedoch, dass mich immer der gleiche Traum heimsuchte.
    Vika hatte mich damals darauf hingewiesen, dass wiederkehrende Alpträume das Symptom einer Deep-Psychose seien. Daraufhin hatte ich meine Träume nie wieder erwähnt.
    »Das ist jetzt schon das dritte Mal«, stellte Vika fest und lachte verkrampft.
    Schön wär’s ja …
    »Meinst du nicht, du verbringst zu viel Zeit in der Tiefe ?«
    »Nicht mehr als andere auch«, antwortete ich.
    »Nicht mehr als andere auch … Diese Antwort würde dir auch ein Alkoholiker auf die Frage geben, ob er viel trinkt. Wie war es gestern Abend mit deinen Freunden?«
    »Nett. Und sehr interessant.«
    »Und dann, als du nach Hause gekommen bist? Bist du da noch mal in die Tiefe ?«
    »Ja. Aber nicht lange. Ich habe den anderen versprochen, mich um eine Sache zu kümmern.«
    »Das gefällt mir nicht, Ljonka«, erklärte Vika und erhob sich. »Wenn du kein Diver wärst, würde ich bei dir eine Deep-Psychose vermuten.«
    »Vielleicht bin ich ja der erste Diver, der nicht mehr immun gegenüber der Tiefe ist.«
    »In dem Fall würde mir eine glänzende akademische Karriere bevorstehen!«, meinte Vika lachend. »Was für ein einmaliger Fall! Noch dazu direkt vor meiner Nase! Jedenfalls manchmal … Ich muss los, Ljonka, ich komme eh schon zu spät.«
    »Vika …«
    Ich verstummte. In der Ecke hatte sich leise der Computer eingeschaltet. Aus irgendeinem Grund wollte ich Vika gegenüber nicht erwähnen, dass ich wieder das alte Zeug auf dem Rechner installiert hatte.
    »Erinnerst du dich noch an den Diver-in-der- Tiefe -Tempel?«
    »Na klar.« Vika hatte nicht gemerkt, dass sich der Rechner hochgefahren hatte. »Wie kommst du denn jetzt da drauf?«
    »Gestern hat mich jemand auf den Tempel angesprochen«, lavierte ich zwischen Wahrheit und Lüge. Normalerweise klappt das mit Vika nicht so gut, aber jetzt war sie in Eile. »Du weißt nicht zufällig, ob er gebaut wurde?«
    »Wir haben damals doch zusammen entschieden, nicht bei dieser Sache mitzumachen.« Vika schlüpfte in der Diele mit hastigen Bewegungen in ihren Mantel. »Deshalb habe ich mich danach nie wieder um den Tempel gekümmert. Du bist derjenige von uns beiden, der einen Haufen Freunde unter Divern hat. Frag sie!«
    »Zu denen habe ich keinen Kontakt mehr.«
    »Dann wende dich an die Adressauskunft in Deeptown.«
    »Als ob die die Adresse des Tempels hätten!«
    »Die Adresse werden sie dir vielleicht nicht geben, aber sie werden dir auf alle Fälle sagen können, ob der Tempel überhaupt gebaut wurde. Tschüs, Ljonka. Ich bin um sechs wieder da. Kochst du was?«
    Dann fiel die Tür hinter ihr zu.
    Fast hätte ich mir gegen die Stirn geschlagen.
    Natürlich! Die Adressauskunft in Deeptown. Klar, die brachte mich erst mal nicht weiter. All die Unternehmen, die auch nur ein wenig zur Konspiration neigten, rückten ihre Adresse nicht raus. Aber es gab da eine Möglichkeit …
    »Vika, ich brauche Zugang zum Netz!« Ich schoss förmlich zum Rechner.
    Wird erledigt .
    »Wir gehen nicht in die Tiefe . Verbinde mich bloß mit der Adressauskunft in Deeptown.«
    Wird erledigt .
    Ich seufzte und beobachtete, wie sich ein neues Fenster öffnete.
    »Finde eine Liste mit Kult- und Sakralbauten. Dann klicke im Menü Tempel und Kirchen an.«
    Die Liste war ziemlich lang. Was es da nicht alles gab! Neben den Gotteshäusern der konventionellen alten Religionen fand sich der Tempel der Aufgehenden Sonne, die Lost Church, der Tempel des Tiefen Schlafs und sogar die Kirche des Schmackhaften und Gesunden Essens.
    Fantasie hatten die Leute ja! Und fünfzig Dollar pro Jahr waren auch keine Unsumme.
    Einen Diver-in-der- Tiefe -Tempel gab es in der Liste nicht. Aber das hieß noch gar nichts.
    Ich setzte mich

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