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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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weiteren sinnlosen Versuch wagen, diese Brücke zu überwinden?
    Zu warten ist irgendwie … langweilig.
    Deshalb bewege ich mich vorwärts.
    Auch diesmal habe ich das Gefühl, es sei jemand in meiner Nähe. Jemand, den ich zwar nicht sehen kann, dessen Schritte ich aber höre.
    Doch sobald ich mich umdrehe, verstummen die Geräusche.
    »He!«, schreie ich. »Meinst du nicht, es reicht langsam mit diesen Spielchen?«
    Stille.
    Was soll das? Ich werde in diesem Traum ja wohl nicht auf einen Gesprächspartner hoffen …
    Aber gut, letzten Endes weiß ich, wie ich aufwachen kann. Das Verfahren ist ja bereits mehrfach erprobt.
    Warum also nicht ein weiteres Experiment wagen, die Brücke zu überwinden?
    Ich halte auf das Licht zu.
    Der Nebel lichtet sich nach und nach, wird hell, rein und strahlend, als phosphoresziere er.
    Schon erheben sich vor mir die Felsen.
    Links blaues Eis, rechts purpurrotes Feuer.
    Ich stehe vor der Haarbrücke. Wie mühelos ich sie doch in Al Kabar überwunden hatte. Aber die sollte ja auch Diver herausfiltern. Doch hier, in meinem immer wiederkehrenden Traum, hilft mir mein bewährtes Mantra nicht weiter, denn mit der Illusion verschwindet auch die Brücke.
    Aber was, wenn ich mir vorstelle, die Brücke sei ein Seil? Ein Seil über einem stürmischem Fluss. Und ich ein verrückter alter
Tourist oder ein nicht weniger verrückter kleiner Pfadfinder. Ob ich dann über die Brücke komme?
    Probieren wir’s!
    Ich hocke mich hin und greife nach dem Seil. Es schneidet mir nicht ins Fleisch, was ja schon mal gut ist.
    Dann schlinge ich meine Füße um das Seil. So, über dem Abgrund baumelnd, fange ich an, mich vorwärtszuhangeln.
    Das ist doch absurd! Wie einfach plötzlich alles ist!
    Ob meine Träume wohl aufhören, wenn ich diese Brücke hinter mich bringe?
    Ich hangle mich weiter.
    Schauen Sie nur, meine Herrschaften! Ein Mann am Seil, eine nie dagewesene Attraktion! Wagen Sie einen Wetteinsatz!
    Doch so leicht, wie anfangs gedacht, ist das Ganze nicht.
    Nach einer Weile bohrt sich mir das Seil nämlich doch in die Haut, zunächst bloß unangenehm – als ob du eine zu schwere Tasche an einem zu schmalen Griff trägst.
    Scheiße.
    Dann frisst es sich immer tiefer ins Fleisch. Meine Finger sind schon über und über mit Blut verschmiert.
    Verdammte Scheiße.
    Nein, das Seil wird nicht dünner, es ist nur … endlos. Ich habe die Länge der Brücke unterschätzt, habe nicht daran gedacht, dass steter Tropfen den Stein höhlt.
    Und Haarbrücken dir die Hände aufschlitzen.
    »Nein! Doch nicht so!«
    Die Stimme ist kaum zu hören, denn inzwischen habe ich mich ziemlich weit vom Ausgangspunkt meiner wahnsinnigen Kriecherei entfernt. Selbst als ich den Kopf in den Nacken lege, kann ich denjenigen, der mir da zuschreit, um mich zu warnen oder zu erschrecken, nicht erkennen.
    »Doch nicht so!«
    Ein Blutstropfen löst sich vom Faden und fällt mir auf die Nasenwurzel. Ihm folgt ein zweiter.
    Ich beiße die Zähne aufeinander und hangle mich weiter, obwohl mir bereits klar ist, dass ich scheitern werde. Trotzdem krauche ich weiter …
    Die linke Felswand besteht aus blauem Eis.
    Die rechte aus purpurrotem Feuer.
    Ich stehe wieder vor derselben Entscheidung.
    Das Feuer ist schnell – und es verbrennt dich mit Haut und Haar.
    Mit einem jähen Ruck reiße ich meinen Körper nach rechts, löse die zerfleischten Hände vom Seil …
    Wenn man eines von der rechten Wand nicht sagen kann, dann, dass sie einen sauberen Tod gewährt.
    Ich merke noch, wie meine Arme sich in schwarzen, fetten und stinkenden Ruß verwandeln.
    Der Schmerz bleibt mir jedoch bereits erspart, den Gebietern der Träume sei Dank.
     
    Über meinem Kopf lichtet sich der Nebel. Die Haube der Anabiosezelle ist eingeschlagen.
    Ich liege in ihr und beiße mir auf die Unterlippe.
    Tolle Bescherung!
    Nie im Leben hätte ich angenommen, dass mich dieser Traum sogar in die virtuelle Welt verfolgt. Eine Erklärung konnte nur sein, dass ich in diesem Spiel eine gewisse Zeit geschlafen habe.
    Die Abdeckung lässt sich problemlos öffnen, ich brauche sie also nicht weiter einzuschlagen. Ich beäuge meine Handflächen so misstrauisch, als würde ich erwarten, dort feine Einschnitte von einem Seil zu entdecken.
    Aber nein – sie sind unversehrt.
    Zum Teufel mit diesen Träumen! Wir müssen den Kopf für andere Dinge frei haben. Für wesentlich wichtigere Dinge.
    Ich finde die obligatorische Leiche, deren Uniform ich mir anziehe.
    Den Weg zu der

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