Der falsche Zeuge
das Feld.
Hier befindet sich ein ganzer Stapel von belichteten und entwickelten Filmen. Zig Negativstreifen in Klarsichthüllen. Auch vergrößerte Farbbilder auf Fotopapier.
Was zum Teufel …?
Ich bin von den Fotos völlig überrascht.
Ich hatte gehofft, Unterlagen über SSÍ zu finden. Über diese geheime Neonazitruppe. Oder etwas über die Vergewaltigung. Aber das Thema dieser Bilder ist ein gänzlich anderes.
Siggi Palli ist auf allen Fotos in der Hauptrolle. Mitsamt einem jungen Mädchen mit dickem blonden Haar.
Auf den ersten Bildern sind sie auf dem Weg auf den Parkplatz vor Smáralind. Dem neuen Einkaufscenter in Kópavogur. Sie gehen zusammen zu einem schwarzen Jeep. Setzen sich ins Auto. Dann steigt die Spannung. Der Jeep wurde unter hohen und gut belaubten Bäumen geparkt. Die meisten der vergrößerten Fotos wurden durch eine der Seitenscheiben des Jeeps aufgenommen. Ganz eindeutig mit starkem Zoom aus relativ weiter Entfernung.
Sie zeigen trotzdem deutlich, an was der Fotograf Interesse hatte: an Siggi Palli und dem Mädchen.
Was macht Ófeigur mit Fotos von Siggi Palli in außerehelichen Liebesspielchen? Während er Drífa betrügt?
Dieser Teufelsbraten versucht sich doch nicht etwa mit Erpressung?
Nein, er ist doch viel zu unerfahren dafür.
Viel wahrscheinlicher wäre es, dass Audólfur Hreinsson ein Erpresser ist. Oder Porno-Valdi.
Und es wäre beiden zuzutrauen, dass sie Ófeigur wie jedes andere dumme und gehorsame Verwahrtier missbrauchten.
Dieser Oberidiot Siggi Palli.
Ich hatte schnell das Gefühl, dass er mir irgendwas verschweigt. Aber ich habe nicht daran gedacht, dass ihn sein Seitensprung zum Opfer von Erpressern gemacht hat. Wenn ich denn diesen Schluss auf Grund der Fotos ziehen kann.
»Puh!«
Das bitter-süße amerikanische Feuerwasser brennt im Hals. Treibt mir Tränen in die Augen.
Trotzdem lässt das Wohlgefühl auf sich warten.
»Manchmal ist die Freude anderweitig beschäftigt.«
Sagt Mama.
21
Donnerstag
Der Silberpfeil schnurrt auf dem Asphalt wie eine verschmuste Siamkatze. Mein Benz hat bessere Laune als seine Fahrerin.
Ich bemühe mich, meine aufgebrachten Gefühle im Zaum zu halten. Die Dreistigkeit von Audólfur Hreinsson geht mir ungeheuer auf die Nerven. Aber auch die tölpelhafte Unbedarftheit von Siggi Palli.
Was hat er eigentlich in der Politik zu suchen? Wenn er noch nicht mal mit Bravour lügen kann?
Blödmann.
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass er diese geheimnisvolle Firma IEA sehr wohl kennt. Icelandic Energy Advisors.
Hab es ihm vom Gesicht ablesen können und am Zittern der Stimme gehört. Obwohl er genau das Gegenteil behauptet hat.
Die Wut brodelt in mir auf dem ganzen Weg in den Osten zum Staatsgefängnis Litla-Hraun {} , wo Ófeigur in Untersuchungs- und Einzelhaft sitzt.
Noch so ein Lügenbaron. Einer, der bisher hauptsächlich mit Schweigen lügt.
Die paar Tage in Haft scheinen ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.
Die Zeit wird’s richten.
Er kommt ins kleine Besuchszimmer hereingeschlurft. Rutscht auf den Stuhl, der mir gegenüber am Tisch steht. Mit dem gleichen idiotischen Grinsen auf den Lippen wie letztes Mal.
»Ist es so lustig hier im Knast?«, frage ich kühl.
»Hier brauche ich nichts anderes zu tun als schlafen und essen«, antwortet Ófeigur. »Viele politische Gefangene sind schlimmer dran.«
»Hoffentlich hast du die Zeit genutzt, um nachzudenken?«
»Ja, ja, ich habe meine Gedanken schweifen lassen.«
»Mit welchem Erfolg?«
»Was meinst du?«
»Möchtest du mir berichten, wie die Demonstration im Althing organisiert wurde? Und von wem?«
»Ich bin immer noch der Ansicht, dass das für meine Verteidigung unerheblich ist.«
»Ach?«
»Ja. Wenn ich schon angeklagt werde, dann wegen politischer Verfolgung der Obrigkeit, und nichts, was ich dir oder der Polizei sage, ändert etwas daran.«
»Die beste Verteidigung in deinem Fall ist, die Verantwortung für das, was im Althing passiert ist, auf so viele wie möglich zu verteilen«, antworte ich.
»Ich verrate doch nicht meine Freunde!«
»Hältst du diese falschen Fuffziger wirklich für deine Freunde?«
»Zusammenhalt ist unsere Stärke.«
»Von deinen so genannten ›Freunden‹ kannst du ganz bestimmt keine Hilfe erwarten, das ist klar.«
»Ich brauche keine Hilfe«, antwortet er umgehend. »Ich kann mich schon ganz gut alleine um mich kümmern.«
»Der große Anführer selber hat sogar damit gedroht, dich als gewaltbereiten
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