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Der falsche Zeuge

Der falsche Zeuge

Titel: Der falsche Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Blómkvist
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kastrieren.«

20
    Herdís setzt Kaffee auf.
    Sie hatte schon den kleinen Couchtisch gedeckt, bevor ich kam. Das Geschirr hat ein dunkles Christrosenmuster. Bing & Grøndahl. Wie früher, im Osten bei Mama.
    Zwischen den großen blauen Tassen stehen zwei Kuchenplatten. Die eine ist mit hellen Plätzchen überladen. Auf der anderen ist eine dunkle Biskuitrolle, gefüllt mit Sahne und Marmelade.
    Uff!
    Zweifellos tausend Kalorien in jeder verdammten Scheibe.
    Die Wohnung befindet sich im ersten Stock in einem alten Mehrfamilienhaus an der Hringbraut. Die Möbel sind abgenutzt, aber geschmackvoll.
    Das Wohnzimmer ist ungewöhnlich klein. Ein Teil wurde abgetrennt und zu einem Zimmer umgebaut.
    »Wir brauchten mehr Privatraum, als die Jungs größer wurden«, sagt Herdís, während sie Kaffee in die Tassen einschenkt. »Aber seit Alexander in seine eigene Wohnung umgezogen ist, benutzen wir das kleine Zimmer als Abstellkammer.«
    Die Goldjungs waren schon zu Besuch gekommen. Haben Ófeigs Zimmer von oben bis unten durchsucht. Und die Abstellkammer durchwühlt.
    »Sie haben ein paar Sachen mitgenommen. Mir wurde nicht gesagt, um was es sich handelte, aber ich habe gesehen, wie sie seinen Computer in eine Kiste verpackt haben. Und dann haben sie auch Poster mitgenommen, die er sich an die Wand gehängt hat.«
    »Was für Poster?«
    Sie zögert mit der Antwort.
    »Ich kenne mich damit nicht gut genug aus, um dir etwas darüber zu sagen«, sagt sie schließlich. »Ófeigur wollte gerne alleine sein, und deshalb hat er oft die Tür hinter sich zugemacht. In den letzten Jahren war ich sehr selten in seinem Zimmer.«
    Die Goldjungs haben das Zimmer abgeschlossen. Und die Tür versiegelt.
    Mein Interesse gilt aber vor allem dem, was Herdís möglicherweise über die Verbindung von Ófeigur mit Audólfur Hreinsson weiß.
    »Es hat mir überhaupt nicht gefallen, dass er sich mit dieser Familie angefreundet hat«, sagt sie. »Ich habe wirklich alles versucht, um ihn dazu zu bewegen, die Verbindungen abzubrechen. Unter anderem habe ich dem Jungen vorgehalten, dass sein Großvater sich im wahrsten Sinne des Wortes im Grab umdrehen würde, so wie er sich mit diesen Leuten zu seiner Zeit angelegt hat.«
    »Und was hat Ófeigs Vater dazu gesagt?«
    Herdís seufzt. »Es ist beide Male nicht mehr daraus geworden«, antwortet sie betrübt. »Beide Male, als ich schwanger wurde.«
    Sie war also eine allein erziehende Mutter. Mit zwei Kindern.
    Kein Glück in der Liebe. Nichts Dauerhaftes.
    »Erzähl mir Genaueres von Ófeigs Großvater.«
    Herdís’ Vater war Hafenarbeiter in Reykjavik gewesen, bis er endlich in Rente gehen konnte. Kurz bevor er starb. Vor sechzehn Jahren.
    »Papa war Kommunist während der Weltwirtschaftskrise«, berichtet sie, »denn zu der Zeit schien das der einzige Weg aus Arbeitslosigkeit und Armut zu sein. Er landete oft in Schlägereien mit diesen Rechtsradikalen, die unter den Fahnen von Hitler durch die Straßen marschierten. Audólfur Kormáksson war einer ihrer Anführer. Deshalb tat es mir in der Seele weh, dass Ófeigur sich in diese Szene verlaufen hat.«
    »Für was steht diese Abkürzung SSÍ?«
    »Ich habe Ófeigur einmal danach gefragt, und da hat er mir irgendwas in der Art geantwortet, dass es sich bei diesem Verein um eine Bruderschaft junger Männer handele, die reine und aufrichtige Isländer seien.«
    Rein? Aufrichtig? Bruderschaft? Vereinigung aufrichtiger Isländer? Auf Isländisch: Samtök sannra Íslendinga? SSÍ?
    Vielleicht.
    »Weißt du, wo sie sich treffen? Ich meine anderswo als in Thingvellir?«
    »Nein, das weiß ich nicht«, antwortet Herdís. »Aber ich glaube, dass Ófeigur mit ihnen oft zu einem Haus gefahren ist, wo sie Schießübungen mit Gewehren machen konnten.«
    »Mit Gewehren?«
    »Ja, aber nicht mit richtiger Munition, sondern mit kleinen Bällen, glaube ich.«
    »Meinst du Paintball? Farbbälle?«
    »Ich weiß nicht, was das ist.« Herdís überlegt eine Weile. Fügt dann hinzu: »Ófeigur kam manchmal mit blauer Farbe an Händen oder Schuhen nach Hause, also könnte es das sein, was du meinst.«
    »Wie haben sie sich kennen gelernt?«
    »Soweit ich verstanden habe, kamen Audólfur und einige, die mit ihm unterwegs waren, Ófeigur eines Abends zu Hilfe, als er eine Auseinandersetzung mit Gastarbeiterjungen hatte.«
    »Mit Gastarbeitern?«
    »Ja, er sagte, es wären Jungens aus Asien gewesen.«
    »Meinst du die Mitbürger ausländischer Herkunft?«
    »Ja, genau. Kurz darauf

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