Der falsche Zeuge
Flamme in der schwarzen Tiefe aufflackern.
»So, wie nachdem Mama gestorben ist«, sagt sie. »Sie ist einfach nur über die Straße gegangen, als sie ein sturzbesoffener Autofahrer mit hohem Tempo überfahren hat. Später bekam ich seinen Namen von der Polizei und habe ihn Sergei gegeben, der ihn Papa gegeben hat.«
Sie verstummt. Ein geheimnisvolles Lächeln zieht sich über die Lippen.
»Und?«, frage ich. Gespannt, wie die Geschichte weitergeht.
»Und dann war einfach alles aus. Kaputt.« Sie zieht ihre flache Hand blitzschnell über den Hals. Unter dem Kinn entlang.
Die Bedeutung ist offensichtlich. Und unheimlich.
Ich merke, wie ein unerwarteter Kälteschauer meinen Rücken überzieht. Nehme mein Glas. Trinke es aus. Und gieße mir aus der Flasche wieder neu ein.
Ludmilla schaut mir die ganze Zeit zu. Mit einem leicht amüsierten Gesichtsausdruck, als ob sie ahnen würde, welchen Eindruck ihre Worte auf mich gemacht haben. Und als ob sie Spaß daran hätte.
»Jetzt brauche ich nur noch den Namen«, sagt sie. »Sigvaldi hat versprochen, mir zu helfen, aber ich weiß nicht, ob er es wirklich ernst meint.«
»Was hat Valdi gesagt?«
»Er sagt, es stimmt, dass Sergei ihn hat gebeten, einmal am Tag Ruta anzurufen, während wir beide weg waren. Er hat sie am ersten Tag angerufen, und Ruta hat gesagt, es sei alles okay. Dann hat er andere gebeten, die weiteren Tage nach ihr zu sehen, weil er dachte, es sei kein Problem.«
»Wen hat er gebeten, nach ihr zu sehen?«
»Er hat mir keine Namen genannt. Er will die Sache zuerst selber klären, dann sagt er mir Bescheid.«
»Vertraust du ihm?«
»Weißt du, ich traue nur Sergei. Wenn er sagt, es sei schon mal ein Anfang, dann sage ich okay.«
Sie hält das Glas mit beiden Händen fest. Schwenkt es eine Runde nach der anderen. Schaut dem Wein zu, wie er an den Glaswänden hochsteigt und auf dem Glasboden flacher wird.
Wie viel soll ich ihr sagen? Nichts über Ófeigur. Er ist trotz allem mein Klient.
Aber Audólfur? Dieses miese Schwein hat doch nichts anderes verdient.
»Ich könnte dir einen Namen nennen«, sage ich schließlich.
Ihre Hände rühren sich auf einmal überhaupt nicht mehr. Sie wendet ihren Blick vom Glas ab und schaut zu mir hinüber. »Hast du etwas gehört, über das was passiert ist?«
»Nicht alles.«
»Aber was?«
»Am Mittwochabend wurde in der Wohnung eine Party veranstaltet. Ungefähr vierundzwanzig Stunden bevor ich Ruta gefunden habe.«
Sie starrt mich an. Wartet schweigend. »Ich bin fast hundertprozentig sicher, dass Audólfur Hreinsson dabei war.«
»Audólfur!«, sagt Ludmilla. Es klingt, als würde sie den Namen ausspucken.
»Aber er hatte welche von seinen Wachmännern dabei. Zumindest zwei. Vielleicht mehrere.«
»Also waren sie zu drei auf der Party?«
»Zu dritt oder mehr, ich bin nicht sicher.«
»Aber Audólfur war da?«
»Ich bin so gut wie sicher.«
Sie hebt das Glas mit beiden Händen. Schüttet sich den Weinbrand mit einem Ruck in den Hals. »Was noch?«, fragt sie.
»Sie haben das Sperma untersucht, das gefunden wurde. Die ersten Ergebnisse weisen darauf hin, dass es wahrscheinlich von zweien stammt.«
»Von zweien«, wiederholt Ludmilla.
»Sie gehen davon aus.«
»Dann brauche ich zwei Namen.«
»Versuch, sie von Valdi zu bekommen.«
»Ich sehe, dass du nicht glaubst, dass er mir die Wahrheit sagt.«
»Valdi ist Audólfs Onkel«, antworte ich. »Sie werden mit Sicherheit zusammenhalten.«
»Das habe ich nicht gewusst«, sagt sie. »Aber ich verstehe, was du meinst. Blut und Geld, das ist ein starkes Band.«
Sie stellt das leere Glas vor sich auf dem Tisch ab, nimmt das CD-Cover und geht dann auf die Stereoanlage zu.
»Möchtest du das noch mal hören?«, frage ich.
»Nein, nicht jetzt. Ich muss gehen. Kannst du mir vielleicht ein Taxi rufen?«
In der Diele umarmt sie mich plötzlich. Füllt meine Nase mit einem fremden Geruch. Und entzündet mit einem cognacfeuchten Kuss ein schmerzliches Lustfeuer.
Dann ist sie weg.
»Die Lippen sind die Tür der Hoffnung.«
Sagt Mama.
24
Freitag
Was hat Ludmilla andeuten wollen? Wohl kaum, dass ihr Vater ein erbarmungsloser Mafioso ist?
Oder doch?
Ihr Bericht hat mich den ganzen Morgen mit einem unguten Gefühl verfolgt. Auch das geheimnisvolle Lächeln, das die verführerischen Lippen umspielte, als sie zu verstehen gab, welches grausame Ende dem Säufer zuteil wurde, der ihre Mutter überfahren hatte.
Ich habe immer wieder versucht, diese
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