Der falsche Zeuge
untersuchen lassen.
Erst danach hatte ich das Gefühl, in einem ekelhaften Sumpf festzustecken. Als ob ich mich weder bewegen noch untergehen könnte.
Nach ein paar Tagen stahl ich mich heimlich fort, um Siggi Palli zu treffen.
Er vertrug es nicht, die Wahrheit zu hören: »Das hängst du mir nicht an! Hast du nicht auch mit einem anderen geschlafen?«
Da habe ich ihm eine geknallt. Ganz automatisch. Seine untere Lippe riss ein wenig auf. Blut rann langsam am Kinn hinunter.
Der letzte Liebesgruß.
Ich stelle das Glas mit Jackie ab. Lasse die Hände durch den Seifenschaum ins Wasser fallen. Presse meine Oberschenkel fest zusammen. Halte mir den Bauch.
Mama übernahm die Regie in der Familie. So was hatte es noch nie gegeben. Sie hatte bereits alles in die Wege geleitet. Als sie mir zusetzten. Beide.
Ich musste nur noch ja sagen. Bevor der Embryo zu alt würde. Um ihn abzutreiben.
Sie war die Stimme der Vernunft.
Sie schilderte, wie trostlos mein Leben werden würde, wenn ich mit fünfzehn als allein erziehende Mutter dastünde. Wiederholte immer wieder, dass ich mir selber eine bessere Zukunft schaffen sollte. In die Schule gehen. Mich weiterbilden. Eine Karriere im Süden bei einem guten Arbeitgeber anstreben.
Papa war nur wütend.
»Du bist nicht nur eine Hure«, sagte er mit seiner altbekannten Heftigkeit in der Stimme. »Du bist auch noch eine dumme Hure. Ich bin sicher, dass es nicht das letzte Mal ist, dass du dich von einem hirnlosen Idioten schwängern lässt.«
Er hatte Unrecht.
Wie immer.
Die Abtreibung war ein grauenhafter Albtraum. Eine entwürdigende Misshandlung vor glotzenden Augen.
Ich habe mich immer gewehrt, mich an meinen Zustand während dieser längst vergangenen Elendstage zu erinnern. Seit es mir gelungen ist, mich loszureißen. Nach dem ersten Jahr im Gymnasium {} . Als ich endlich Willensstärke und Selbstdisziplin genug hatte, um mein Leben in meine eigenen Hände zu nehmen. Die Trostlosigkeit habe ich augenblicklich in den dunkelsten unterirdischen Bunker der Erinnerung verbannt. Dort, wo in alle Ewigkeit Eiseskälte herrschen sollte.
Als ich aus der Frauenklinik nach Hause kam, versuchte ich wochen- und monatelang, Körper und Seele von diesem Sommer zu reinigen, der so wunderbar begonnen hatte und wie ein Horrorfilm endete.
Ich duschte morgens. Noch einmal mittags. Und abends. Stand lange unter dem heißen Strahl, ohne an irgendetwas anderes zu denken als den reißenden Strom, der die Schmerzen und das unsaubere Gefühl wegwaschen sollte.
Mama machte sich Sorgen. Papa war nur wütend. Und verlor schließlich die Beherrschung.
»Das geht so verdammt noch mal nicht weiter!«, brüllte er eines Tages und kam ins Badezimmer gefegt, ohne anzuklopfen.
Er starrte mich an, nackt wie ich war. Die entfesselte Wut sprach aus jeder Pore. Aber ganz schnell glitzerte auch etwas anderes in seinem aufgebrachten Blick.
Ich hatte es vor ihm herausgefunden. Sah, dass sich in seinen Augen auch eine lüsterne Leidenschaft verbarg.
Fleischliche Lust.
Er wollte meinen Körper. Wie Siggi Palli im Frühjahr.
Was für eine Offenbarung!
In diesem Moment habe ich herausgefunden, dass ich auch Macht habe. Macht über ihn.
Ich richtete mich unter dem Wasserstrahl auf. Stieg aus der Dusche. Beugte mich nach dem Handtuch. Stellte mich wieder hin und spreizte die Beine ein wenig. Dann begann ich mich sorgfältig vor ihm abzutrocknen. Rubbelte mir mit dem weichen Handtuch die Oberschenkel auf und ab. Über den Bauch. Und die Brust.
Er schaute mir die ganze Zeit dabei zu. Sagte kein Wort.
Schließlich ließ ich das Handtuch auf den Boden fallen. Genau zwischen uns. Ging nackt zum großen Spiegel. Hoch aufgerichtet mit ganz geradem Rücken. Als wäre ich eine frisch gekürte Schönheitskönigin. Betrachtete mich eine Weile. Schob das nasse Haar von den Brüsten. Und ließ meine Finger auf den Brustwarzen ruhen, von denen Siggi Palli nie genug bekommen konnte.
Ich fühlte, dass Papas Blick die ganze Zeit auf mir ruhte.
Schließlich begegnete ich seinem Blick. Ohne zu zögern. Im Spiegel. Tat so, als wäre ich plötzlich zu einer lebenserfahrenen Frau gereift, die überhaupt nichts dagegen hätte, dass sie mit gierigen Augen betrachtet würde, im Gegenteil.
Und habe gelächelt.
Da hat er es auch kapiert.
Endlich.
Es hat ihn total fertig gemacht. Er schaute weg. Strich sich mit einer zitternden Hand über den Kopf.
Wow!
Ich habe ihn besiegt. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ein wirklich
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