Der falsche Zeuge
einmaliges Gefühl!
Aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Musste noch einen draufsetzen. Drehte mich um. Ging auf ihn zu.
»Möchtest du mir nicht helfen, mich abzutrocknen?«, fragte ich mit einem Lächeln auf den Lippen.
Da floh er auf den Flur.
Ich stand in der Tür. Schaute ihm nach. Und lachte höhnisch.
Ich hatte keine Angst mehr.
Später löste die Verachtung die Angst ab. Und der Rachedurst.
Während des folgenden Jahres gab nichts anderes dem Leben einen so schönen Glanz als meine gelungenen Versuche, Papa gegenüber meine Macht auszuspielen.
Abends ging ich halb nackt durchs Wohnzimmer, wenn er Fernsehen guckte. Genoss es, wenn sein Blick mir folgte.
Manchmal setzte er sich auf meine Bettkante. Als ich schon im Bett lag. Startete hoffnungslose Versuche, sich mit mir über etwas zu unterhalten, von dem er meinte, es würde mich interessieren.
Dann fand ich immer einen Vorwand, um noch mal aufzustehen. Tat so, als ob ich etwas suchen würde. Tippelte nackt durch das Zimmer.
Beim letzten Mal fiel er vor mir auf die Knie. Legte beide Arme fest um mich. Drückte seine Wange an meinen blonden Unterbauch. Und begann zu schluchzen.
In dem Augenblick kam Mama in die Tür.
Keiner von beiden sagte ein Wort.
Er stand auf. Ging schweigend hinaus. Und kam nie wieder in mein Zimmer.
Ein Jahr später waren Mama und ich weggegangen. Aber jede in eine andere Richtung.
»Ertränke deine Wut nicht in deinen eigenen Tränen.«
Sagt Mama.
29
Samstag
Ludmilla ist in gefährlicher Stimmung.
Man sieht es ihr nicht an, sie ist oberflächlich betrachtet sogar ziemlich gelassen. Geht mit langsamen Schritten in mein Wohnzimmer. Setzt sich aufs Sofa. Legt die Hände in den Schoß. Betrachtet mich eingehend. Aber ihre Miene ist hart. Und die dunklen Augen verbergen sorgfältig, was sie vorhat.
Wir haben uns noch nicht lange unterhalten, als ich merke, dass Ludmilla von eiskalten Racheplänen besessen ist.
Ich hatte Recht, was Porno-Valdi angeht.
Er hat sich geweigert, ihr die Namen derjenigen zu geben, die zur Wohnung im Breidholt fuhren, während sie und Sergei im Ausland waren.
Mir war klar, dass er sich so verhalten würde.
Ludmilla beschreibt mir Valdis Reaktion. In ganz wenigen Sätzen. Er sagte, er habe die Sache untersucht. Diese Erkundungen seien nun abgeschlossen. Ihm sei bekannt, was in der Wohnung geschehen wäre. Aber dieses Wissen würde er für sich behalten. Er selber würde etwas in der Sache unternehmen. Ganz sicher. Sie müsse ihm vertrauen und sich damit abfinden, dass der Fall damit abgeschlossen sei.
»Weißt du, ich habe ihm versprochen, alles zu tun für ihn, wenn er mir die Namen sagt, aber er wollte es nicht, egal, wie viel ich bat und bettelte«, sagt sie. »Jetzt weiß ich, dass Sigvaldi nicht mein Freund ist.«
Kein Freund mehr, sondern ein Feind. Sagt die Kälte in ihrer Stimme.
Aber Ludmilla gibt sich mit Porno-Valdis Ablehnung nicht zufrieden. Sie hat selber Nachforschungen angestellt. Unter anderem, indem sie sich bei ihren Mitarbeitern und Kunden umgehört hat. Und hat schnell erfahren, dass viele Leute gerüchteweise gehört haben, was Ruta zugestoßen ist. Obwohl ihr Tod immer noch nicht als Thema auf der Tagesordnung der Presse stand.
Sie kommt zum gleichen Ergebnis wie ich.
»Ich weiß jetzt, dass es Audólfur war«, sagt sie und legt ihre Hand aufs Herz. »Auch andere, aber er ist Nummer eins.«
Sie steht schnell auf. Geht mit raschen Schritten zum CD-Player und kramt in meiner CD-Sammlung. Wählt Madonna. Material Girl.
Die laute Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Ludmilla hält einen Moment inne. Steht trotz des taktsicheren Rhythmus der Musik wie eine Statue an der Wand. Sie ist schweigsam. Macht ein ernstes Gesicht. Als ob sie versuchen würde, die wichtigste Entscheidung ihres Lebens zu treffen.
Die hellblaue Jeans ist knalleng. Auch das dünne rote Spaghettiträgershirt unter der Denimjacke.
Ich fühle, wie mein Herz schneller schlägt, und das nur, weil ich sie angucke. Als ob ich wieder ein liebeskranker Teenager wäre.
Ich weiß, dass es idiotisch ist.
Wie das Leben selber.
Endlich kommt sie zurück. Stellt sich vor den Sessel, in dem ich ungeduldig sitze und darauf warte, zu erfahren, was sie vorhat.
Unsere Blicke treffen sich.
»Weißt du noch, was ich dir letztes Mal gesagt habe?«, fragt sie. »Dass ich manchmal so bin wie Papa?«
»Natürlich.«
»Ich weiß etwas von Audólfur Hreinsson, das reichen würde, um ihn ins Gefängnis zu
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