Der falsche Zeuge
Fragen. Es muss ja einen Anlass gegeben haben.«
Siggi Palli zuckt mit den Schultern.
Ich gehe zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung über. »Was hattest du bei der Besuchertribüne zu suchen, als die Demonstration in vollem Gange war?«
»Woher weißt du, dass ich da war?«, fragt er.
»Ich habe meine Quellen. Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Du hast mich nicht gefragt.«
»Hast du gesehen, wie es dazu kam, dass Salvör in der Menge landete?«
»Ich habe vor allem die Demonstration verfolgt«, antwortet e., »Aber es kam mir so vor, als ob Salvör aus dem Besprechungsraum kam, der sich da oben befindet, und dann den aufrührerischen Glatzen direkt in die Arme lief.«
»Kam sie alleine aus dem Zimmer?«
»Ich glaube schon. Warum?«
»Du hast dich dort nicht mit ihr getroffen, oder?«
»Nein.«
»Und du hast auch Angantýr nicht dort bei ihr gesehen?«
Siggi Palli guckt mich schweigend an und schüttelt den Kopf.
»Salvör hat eine Art Stich in den Rücken bekommen, entweder dort oben oder beim Fall in den Plenarsaal«, fahre ich fort. »Weißt du noch, ob du etwas gesehen hast, was ihr möglicherweise diese Wunde zugefügt haben könnte?«
»Willst du damit andeuten, dass jemand sie auf der Besuchertribüne mit etwas in den Rücken gestochen haben könnte?«, fragt er verwundert.
»Was weiß ich?«
Er denkt eine Weile über die Sache nach. Schüttelt dann erneut seinen kahlen Kopf. »Ich habe keine Erklärung dafür«, sagt er.
»Ich auch nicht. Und ich kann offene Enden einfach nicht ausstehen.«
Er guckt auf die Uhr. Will ganz eindeutig das Gespräch so schnell wie möglich beenden.
Ist mir recht so.
Es gibt nur noch eine Sache zu besprechen.
»Kann es sein, dass Maria von dir schwanger ist?«, frage ich ohne große Vorreden.
Er erbleicht. »Wie kommst du denn auf so was?«, fragt er mit kratziger Stimme.
»Ist es möglich?«
Die Röte kehrt in sein Gesicht zurück: »Ich habe Kondome benutzt, falls du das meinst.«
»Jedes Mal?«
»Ja, ich bin ja kein kompletter Idiot, auch wenn du dieser Ansicht sein solltest.«
»Aber wenn sie trotzdem schwanger ist, was dann?«
Siggi Palli verliert die Beherrschung. »Das hängst du mir nicht an!«, ruft er aufgebracht. »Dann ist sie eben mit noch jemandem ins Bett gegangen!«
Ich merke, wie sich unterdrückte Bitterkeit aus den tiefsten Dunkelkammern des Gehirns erhebt. Aber es gelingt mir trotzdem, mich im Zaum zu halten.
»Wo habe ich diese lächerliche Entschuldigung wohl schon einmal gehört?«, frage ich so verächtlich, wie ich nur kann.
Aber Siggi Palli hat immer noch nicht gelernt, sich zu schämen.
»Wie weit ist sie denn schon?«, fragt er.
»Was glaubst du wohl?«
»Ich hoffe nur, dass noch Zeit genug ist, es abzutreiben.«
28
Mein freitäglicher Gourmetabend war ein voller Misserfolg.
Es will mir einfach nicht gelingen, meinen Geist von den unerfreulichen Vorkommnissen des Tages zu reinigen. Sie liegen über mir wie ein Albtraum, der mir die Luft nimmt. Und lassen die Gespenster der Vergangenheit wieder auferstehen.
Ich verspeise die köstlichen Gerichte des Abends, ohne sie richtig genießen zu können. Ersuche dann Jackie um Gnade. Bekomme ihn dazu, mir die Welt ein bisschen weicher zu zeichnen. Ganz langsam. Die grellen Farben mit jedem Schluck ein bisschen mehr abzutönen.
Aber dieses Mal gelingt es sogar meinem herrlichen Feuerwasser nicht, die kalte Wirklichkeit auszuschließen.
Also gehe ich ins Bad. Lasse die Badewanne mit so heißem Wasser voll laufen, wie ich es gerade noch aushalten kann. Versinke in einem duftenden Schaumbad. Und spiele weiter Zug um Zug mit Jackie.
Natürlich weiß ich, was mich am meisten beschäftigt und mir verdammt noch mal keine Ruhe lässt.
Siggi Palli hat alle alten Wunden wieder aufgerissen. Mit der gleichen taktlosen Feigheit wie früher. Hat mich mit Worten durchbohrt. Schon wieder.
Diese verdammte Lusche.
»Das hängst du mir nicht an!«, hat er gesagt.
Der gleiche Verrat. Er hat sich nicht verändert, seit meine Welt in jenem schrecklichen Herbst zusammenbrach, als ich vierzehn war. Nachdem ich wusste, dass ich schwanger war.
Nach etwas mehr als einem Monat, nachdem Papa Siggi Palli rausgeschmissen und mich nach Strich und Faden verdroschen hatte.
Mir war überhaupt nicht die Idee gekommen, dass ich in anderen Umständen sein könnte. Es war Mama, die zwei und zwei zusammengezählt hat. Als sie eines Morgens sah, wie ich mich im Bad erbrach.
Sie hat mich sofort
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