Der falsche Zeuge
aus feinstem Kristall.
Was hat sie wohl noch über meine dringlichsten Bedürfnisse ausgegraben?
»Trinkst du das für gewöhnlich?«, frage ich, als der erste bitterzarte Schluck meinen Hals befeuchtet und mein Inneres erwärmt hat.
»Eigentlich nicht«, antwortet Jódís, »aber jetzt wollte ich Jack Daniels dir zu Ehren auch mal probieren.«
Mir ist immer noch nicht ganz klar, ob das freundliche Lächeln wirklich echt ist. Oder nur eine einschmeichelnde Fassade.
»Es ist mir keine besondere Ehre.«
»Jemand hat mir verraten, dass diese Sorte von dir sehr geschätzt würde, und nun ist mir auch klar, warum.«
»Aber ich bin kein Missionar. Nur dass du es weißt.«
»Prost!« Sie leert ihr Glas. Gießt sich aus der Flasche nach.
»Hast du alle Informationen bekommen, nach denen du geforscht hast, als du mich das letzte Mal besucht hast?«, fragt sie und schenkt auch mir nochmals ein.
»Wenn ich die Wahrheit sagen soll, fehlen mir jetzt noch mehr Puzzleteilchen im Gesamtbild als vorher.«
»Wie kommt das denn?«
»Die Autopsie hat zwei neue Fragen aufgeworfen, die mir noch nicht zufrieden stellend beantwortet wurden.«
Sie guckt mich fragend an.
Ich berichte ihr von dem Einstich in Salvörs Körper. Und dem Adrenalin. Sie sitzt bewegungslos in ihrem Sessel. Hört mir konzentriert und mit großer Aufmerksamkeit zu.
»Aber ist das nicht völlig nebensächlich, wenn man bedenkt, dass Salvör sich beim Sturz schwer wiegende Verletzungen zuzog, die zum Tod führten?«, fragt sie, als ich meine Darlegung beendet habe.
»Das kann schon sein.«
»Ich bin der Meinung, dass es dafür eine ganz einfache Erklärung geben muss.«
»Vielleicht«, antworte ich. »Aber wenn es niemandem gelingen sollte, diese beiden Details auf überzeugende Weise abzuhaken, werde ich meinen Nutzen daraus ziehen, wenn der Fall ans Gericht gekommen ist. Jeder Zweifel an der Todesursache eignet sich dazu, die Verteidigung meines Klienten zu untermauern.«
»Ich verstehe.«
»Du könntest mir aber vielleicht helfen, eine Antwort auf eine andere Frage zu finden, die mir keine Ruhe lässt?«
»Und welche ist das?«
»Salvör bekam einen Anruf, ungefähr zwei Stunden vor ihrem Tod. Sie wurde von Siggi Pallis Handy aus angerufen, das er am Morgen bei einer Besprechung mit Angantýr vergessen hatte.«
Jódís ist unangenehm überrascht. Auch wenn sie versucht, es zu vertuschen.
»Deshalb liegt es auf der Hand, davon auszugehen, dass dein Vater von diesem Handy aus angerufen hat.«
»Was für ein Blödsinn!«, sagt sie.
»Aber warum sollte Angantýr Siggi Pallis Handy benutzen?«, fahre ich fort. »Die Frage drängt sich einem direkt auf.«
»Der Minister hat natürlich sein eigenes Mobiltelefon.«
»Als Erstes fällt mir ein, dass er das Handy dazu benutzt hat, um sich heimlich mit Salvör zu verabreden. Und dass sie sich dann möglicherweise im Althing getroffen haben, kurz bevor sie starb.«
»Deine Überlegungen sind völlig abwegig«, sagt sie.
»Und dann ist natürlich die Frage, was auf dieser Besprechung passiert ist.«
»Der Minister hat Salvör an diesem Tag nicht getroffen, hast du verstanden?«
Ich zucke mit den Achseln. »Auch wenn du es noch so beteuerst, ist und bleibt Angantýr die Nummer eins auf meiner Liste.«
»Was für eine Liste?«
»Eine Liste mit allen, die ich der Bereicherung verdächtige. Es sei denn, ich bekomme Beweise, dass es eine andere Lösung für das geheimnisvolle Telefonat gibt.«
»Ich glaube nicht, dass Sigurdur Pálmar jemals sein Handy im Büro des Ministers vergessen hat«, sagt Jódís.
»Er behauptet, dass es vorgekommen ist.«
»Er redet viel. Du darfst nicht alles, was er von sich gibt, allzu ernst nehmen.«
»Behauptest du, er sei ein Lügner?«
»Wenn ich Drífa recht verstanden habe, sind dir seine Lügen doch wohl bekannt.«
»Hat sie sich bei dir über ihn beschwert?«
»Drífa spielt ständig die Fehltritte ihres miserablen Ehemanns herunter«, sagt Jódís. »Sie hätte etwas viel Besseres verdient, und das habe ich ihr auch gesagt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, als ich erfahren habe, dass sie sich in ihn verliebt hat.«
»Macht Liebe nicht angeblich blind?«, frage ich höhnisch.
»Sigurdur Pálmar hat Salvör wahrscheinlich selber an diesem Tag angerufen. Ich habe ihn immer verdächtigt, Informationen an sie weiterzugeben.«
»Über was?«
»Salvör schien immer unglaublich gut auf dem Laufenden zu sein, was im Ministerium vor sich ging, so viel steht
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