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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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zurück, den sie so weitgehend eingebüßt hatte, daß sie in ihrem eigenen Hause wie eine verstörte Gefangene lebte. Mit einer rührenden Gewichtigkeit war sie bereit, bei unseren Mahlzeiten den Ehrenplatz einzunehmen. Die Offiziere küßten ihr die Hand. Für eine kurze Weile bekamen ihre Augen den alten offenen Glanz zurück, der nur der Widerschein einer königlichen Seele war. Dann trübten diese alles bekennenden Augen sich aufs neue. Nur einmal noch habe ich sie in ihrer alten wundervollen Klarheit leuchten sehen; und die näheren Umstände sind mir nur allzu gegenwärtig.
    Warum verlieben sich Frauen immer wieder in Männer, die das Schicksal ihnen nicht bestimmt hat, so daß diesen nur die Wahl bleibt, wider das eigene Wesen zu handeln oder sie zu hassen? Am Tage nach meiner Rückkehr glaubte ich Sophies wiederholtes tiefes Erröten, ihr plötzliches Verschwinden und jene schrägen Blicke, die so schlecht zu ihrem graden Wesen paßten, als Zeichen einer leichten Verwirrung deuten zu dürfen, die bei einem jungen Mädchen, das sich in aller Harmlosigkeit von einem Neuankömmling angezogen fühlt, nur allzu natürlich war. Später, als ich von ihrem Mißgeschick wußte, lernte ich jene Zeichen einer tödlichen Erniedrigung, die auch in Gegenwart ihres Bruders zum Vorschein kamen, weniger unzutreffend zu beurteilen. Ich habe mich aber allzu lange mit der zweiten, richtigeren Auffassung zufriedengegeben; und während ganz Kratovice gerührt oder erheitert von Sophies Leidenschaft für mich sprach, glaubte ich immer noch an das junge verstörte Mädchen. Es dauerte mehrere Wochen, ehe ich begriff, daß diese bald blassen, bald geröteten Wangen, dies Zittern und der zugleich beherrschte Ausdruck von Gesicht und Händen, dies plötzliche Verstummen und Sichüberstürzen etwas anderes als bloße Scham und mehr als bloßes Verlangen bedeuteten. Ich bin nicht eitel, was einem Mann leichtfällt, der die Frauen verachtet und der, um sich in dieser Meinung zu bestärken, nur mit den schlechtesten zu verkehren pflegt. Ich mußte daher Sophie falsch verstehen – und das um so mehr, als sie durch ihre zärtlich rauhe Stimme, ihr kurzes Haar, ihre kleinen Blusen und ihre großen, immer lehmverkrusteten Schuhe auf mich wie ein Bruder ihres Bruders wirkte. Ich irrte mich, dann begriff ich meinen Irrtum, und schließlich entdeckte ich hinter eben diesem Irrtum das einzig wesentliche Stück Wahrheit, das ich in meinem ganzen Leben kennengelernt habe. Einstweilen hielt ich oberflächlich gute Kameradschaft mit Sophie, wie ein Mann sie mit einem Jungen hält, den er nicht liebt. Dieses so falsche Verhältnis war für Sophie um so gefährlicher, als sie, die in der gleichen Woche wie ich geboren war und somit unter den gleichen Sternen stand, keineswegs weniger, sondern eher mehr Unglück erlebt hatte als ich. Sie war es denn auch, die von einem gewissen Augenblick an die Führung des Spiels übernahm – mit großer Vorsicht, da sie um ihr Leben spielte. Überdies war meine Aufmerksamkeit notwendigerweise geteilt, während sie mit Leib und Seele bei der Sache war. Für mich gab es Konrad und den Krieg und ein paar ehrgeizige Wünsche, die ich mir seitdem aus dem Kopf geschlagen habe. Für sie gab es sehr bald nur noch mich, als wären die übrigen Menschen um uns herum nur dazu da, die Staffage für die beginnende Tragödie abzugeben. Sie half der Magd in der Küche und im Hühnerhof, damit ich mich sattessen konnte, und nahm sich Liebhaber, um mich eifersüchtig zu machen. Ich mußte notgedrungen das Spiel verlieren, in welchem Sinne auch immer; und ich mußte das ganze Gewicht meines passiven Widerstandes aufbieten gegen das Gewicht dieses Geschöpfes, das unaufhaltsam auf sein Verhängnis zusteuerte.
    Im Gegensatz zu den meisten nicht ganz gedankenlosen Menschen sind Selbstverachtung und Eigenliebe mir gleichermaßen fremd. Allzu deutlich empfinde ich das Abgeschlossene, Notwendige und Unvermeidliche jeder Handlung, obschon sie kurz zuvor selber so wenig vorauszusehen ist wie kurz danach ihre Folgen. Festgelegt durch eine Reihe unwiderruflicher Entscheidungen, hatte ich, wie ein Tier, nie Zeit gefunden, mir selber problematisch zu werden. Und wenn es zum Wesen der Jugend gehört, sich dem natürlichen Lauf der Dinge nicht anpassen zu können, so war ich zweifellos jünger und unfähiger zur Anpassung geblieben, als ich selber glaubte; denn Sophies einfache Liebe versetzte mich, als ich sie begriff, in eine Bestürzung, die

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