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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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fast eine Art Empörung war. Unter den gegebenen Umständen war jede Überraschung für mich eine Gefahr, die rasches Handeln verlangte. Ich hätte Sophie hassen müssen. Sie hat nie geahnt, welches Verdienst ich mir um sie erwarb, dadurch daß ich nichts dergleichen tat. Jede verschmähte Geliebte aber vermag unseren Eigendünkel auf eine ziemlich schäbige Art zu erpressen. Die Selbstgefälligkeit und das Erstaunen darüber, daß man endlich so eingeschätzt wird, wie man es immer erhofft hatte, sind daran schuld, und man findet sich damit ab, die Rolle einer Gottheit zu spielen. Ich muß auch sagen, daß Sophies Verblendung weniger grotesk war, als es den Anschein hatte. Nach so viel unglücklichen Erlebnissen fand sie endlich einen Mann ihres Standes wieder, der zugleich ein Jugendfreund war. Aus all den Romanen, die sie zwischen zwölf und achtzehn gelesen hatte, ging deutlich hervor, daß die Freundschaft für den Bruder in der Liebe für die Schwester ihre Vollendung findet. Diese instinktive Überlegung war im Grunde richtig, da sie eine gewisse Besonderheit auf Seiten des Partners nicht voraussehen konnte. Aus leidlich gutem Hause, ziemlich gut aussehend und noch so jung, daß alle Hoffnungen berechtigt waren, war ich wie geschaffen, um alle Erwartungen eines jungen Mädchens zu erwecken, das bisher in Zwangshaft mit ein paar gleichgültigen Grobianen und dem bezauberndsten aller Brüder gelebt hatte – anscheinend ohne von der Natur mit einem noch so flüchtigen Hang zum Inzest begabt worden zu sein. Damit aber auch der Inzest nicht völlig fehle, machte die Magie der Erinnerungen aus mir einen älteren Bruder. Unmöglich, nicht das Spiel zu wagen, wenn man alle Karten in der Hand hat. Ich konnte allenfalls eine Partie überschlagen – aber auch das hieß bereits spielen. Sehr rasch bildete sich zwischen uns ein stillschweigendes Einvernehmen von Henker und Opfer heraus. Die Grausamkeit kam nicht von mir; sie lag in den Umständen. Daß ich Gefallen daran fand, ist nicht ausgeschlossen. Die Blindheit der Brüder steht der Blindheit der Ehemänner in nichts nach. Konrad war ahnungslos. Er war eine von jenen beneidenswerten Naturen, die vorwiegend in Träumen leben, alle falschen und aufreizenden Seiten der Wirklichkeit übersehen und unvermindert aus der Selbstverständlichkeit der Nacht in die Einfachheit des Tages hinüber wechseln. Im sicheren Besitz einer brüderlich ergebenen Seele, deren Verstecke er nicht zu erforschen brauchte, tat er seinen Dienst, schlief, las, wagte sein Leben, übernahm den Telegraphen und schrieb Verse, die nie mehr als ein fader Abglanz seines liebenswerten Wesens waren.
      Wochenlang machte Sophie alle Qualen einer Liebenden durch, die sich für unverstanden hält und daran verzweifelt. Gereizt durch das, was sie für meine Dummheit hielt, wurde ihr dieser Zustand allmählich langweilig, in dem nur ein romantisches Herz sich hätte gefallen können – romantisch, sie war es nicht mehr als ein Messer. Sie machte mir Geständnisse, die sie für unmißverständlich hielt und die doch voll hinreißender Zurückhaltung waren.
      »Wie gemütlich es hier ist!« sagte sie und klopfte energisch die Asche ihrer kurzen Bauernpfeife aus, während wir es uns in einer der im Park verstreuten Hütten bequem machten. Mit jener Verschlagenheit, über die sonst nur Liebende verfügen, war es uns gelungen, für eine kurze Zeit allein zu sein.
    »Ja, es ist wirklich gemütlich«, wiederholte ich, entzückt von dem ungewohnt zärtlichen Ton, mit dem sie gleichsam ein neues musikalisches Thema in unserem Zusammenspiel anschlug. Linkisch strich ich über die kräftigen, fest auf den Gartentisch gestützten Arme, wie ich etwa einen schönen Hund oder ein geschenktes Pferd gestreichelt haben würde.
    »Haben Sie Vertrauen?«
    »Der Tag ist klarer nicht als deines Herzens Tiefe.«
      »Erich«, und sie stützte ihr Kinn schwer auf ihre gefalteten Hände, »ich möchte Ihnen lieber gleich sagen, daß ich mich in Sie verliebt habe … Wenn Sie wollen … verstehen Sie? … Und selbst wenn es nicht ernst ist …«
    »Mit Ihnen ist es immer ernst, Sophie.«
    »Nein«, sagte sie, »Sie glauben mir nicht.«
      Und während sie ihren Kopf zurückwarf mit einer Geste gekränkten Trotzes, die bezaubernder war als alle Zärtlichkeiten, fügte sie hinzu:
      »Sie dürfen sich aber nicht einbilden, daß ich zu anderen auch so gut bin.«
    Wir waren beide zu jung, um völlig unpathetisch zu sein.
    Aber

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