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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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unsere unglücklichen Stunden in Kratovice hatten als Hintergrund jenen Korridor mit seinen vernagelten Fenstern, in dem man sich fortwährend an etwas stieß, oder jenen Salon, aus dem die Bolschewiken nur die chinesische Waffensammlung mitgenommen hatten und wo das von einem Bajonett durchbohrte Bildnis einer ihr Mißgeschick belächelnden Dame von der Wand auf uns herabblickte. Auch die Zeit spielte auf ihre Weise mit, indem wir ungeduldig auf die Offensive warteten und ständig die Möglichkeit eines baldigen Todes vor Augen hatten. Wenn Frauen ihre Reize für gewöhnlich ihrem Toilettentisch, ihrem Friseur und ihrer Schneiderin verdanken und ihr glückliches, beschütztes Leben im Widerschein der Spiegel genießen konnten, so gewann Sophie ihre Vorzüge aus dem peinlichen Durcheinander eines zur Kaserne gewordenen Hauses; sie war gezwungen, ihre Unterwäsche aus rosa Wolle vor unseren Augen im Licht einer Petroleumlampe zu stopfen und wusch unsere Hemden mit einer selbstfabrizierten Seife, die die Haut ihrer Hände rissig machte.
    Die ständigen Reibungen einer fortwährend bedrohten Existenz machten uns einerseits überempfindlich und andererseits abgestumpft. Ich erinnere mich noch an einen Abend, als Sophie es auf sich nahm, ein paar schwindsüchtige Hühner für uns zu schlachten und zu rupfen. Nie wieder habe ich ein Gesicht gesehen, das so resolut und doch so frei von jeder Grausamkeit war. Ich pustete ihr ein paar Flaumfedern aus dem Haar. Ihre Hände rochen fade nach Blut. Wenn sie nach solchen Tätigkeiten müde in ihren schweren Schneeschuhen ins Haus zurückkam, warf sie ihren feuchten Pelz in irgendeine Ecke, wollte nichts essen oder stürzte sich gierig auf die gräßlichen Pfannkuchen aus verdorbenem Mehl, mit denen sie uns hartnäckig verwöhnte. Bei solcher Lebensweise magerte sie natürlich ab.
    Sie sorgte für uns alle. Aber ein Lächeln ließ mich wissen, daß sie dennoch nur für mich da war. Sie mußte wohl ein gutes Herz haben, da sie alle Gelegenheiten, mich zu quälen, versäumte. Bedroht von einer Niederlage, die keine Frau verzeiht, tat sie das, was einem rechtschaffenen und jeder Hoffnung beraubten Herzen zu tun übrig bleibt: sie suchte, um sich selber zu strafen, die schlimmsten Erklärungen für ihr Verhalten und beurteilte oder vielmehr verurteilte sich, wie Tante Praskovia es getan hätte, wenn sie dazu imstande gewesen wäre. Sie hielt sich für unwürdig. Vor soviel Unschuld hätte man auf die Knie sinken mögen. Sie dachte übrigens keinen Augenblick daran, das Geschenk ihrer Hingabe zu widerrufen. Es war für sie so endgültig, als hätte ich es angenommen. Es war ein Zug dieser hochsinnigen Natur, daß sie das Almosen, das ein Armer verschmäht hatte, nicht zurücknahm. Daß sie mich verachtete, davon bin ich überzeugt und hoffe es für sie. Aber trotz aller Verachtung würde sie mir doch in einer liebevollen Aufwallung die Hände geküßt haben. Ich lauerte gierig auf einen Zornesausbruch, einen verdienten Vorwurf oder irgendeine Handlung, die in ihren Augen so etwas wie ein Sakrileg gewesen wäre; doch hielt sie sich unentwegt auf der Höhe, die ich von ihrer aberwitzigen Liebe forderte. Hätte ihr Herz eine Taktlosigkeit begangen – es hätte mich beruhigt und zugleich enttäuscht. Sie begleitete mich wiederholt auf meinen Patrouillengängen durch den Park; für sie mußten es Spaziergänge einer Verurteilten gewesen sein. Ich liebte es, wenn der kalte Regen uns in den Nacken schlug und uns das Haar durchnäßte, wenn sie ihren Husten mit hohler Hand zu unterdrücken suchte, wenn ihre Finger mit einem Schilfhalm spielten, während wir den einsamen glatten Weiher entlanggingen, in dem an jenem Tage die Leiche eines Feindes schwamm. Plötzlich lehnte sie sich an einen Baum und sprach wohl eine Viertelstunde lang, ohne daß ich sie unterbrach, über die Liebe. Eines Abends mußten wir uns, bis auf die Knochen durchnäßt, in den verfallenen Jagdpavillon flüchten. Eng beieinanderstehend, zogen wir in dem einzigen engen Raum, der noch ein Dach hatte, unsere Kleider aus. Aus einer Art Prahlerei behandelte ich meine Gegnerin wie einen Freund. In eine Pferdedecke gehüllt, trocknete sie meine Uniform und ihr wollenes Kleid am Feuer, das sie angezündet hatte. Auf dem Heimweg mußten wir uns ein paarmal hinwerfen, um nicht von einer Kugel getroffen zu werden. Ich faßte sie wie ein Liebender um die Hüften, um sie mit Gewalt neben mich auf den Boden eines Grabens zu werfen, was

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