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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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übrig. Der Psychologe war damals die erste Person gewesen, die er beim Aufwachen nach dem Unfall zu Gesicht bekommen hatte. Rhyme wusste noch, dass der Mann sich für Touch-Football, die Oper und die Geheimnisse des menschlichen Verstandes begeisterte – alles in ungefähr gleichem Maße und überaus leidenschaftlich.
    »Verzeih die späte Störung«, sagte Sellitto und klang dabei nicht im Mindesten bekümmert. »Aber wir brauchen Hilfe bei einem Serientäter. Wir haben einen Namen und sonst nicht viel.«
    »Der Typ aus den Nachrichten? Der heute früh die Musikstudentin ermordet hat? Und später den Streifenbeamten?«
    »Richtig. Er hat außerdem einen Maskenbildner und beinahe auch eine Reiterin umgebracht, und zwar weil die beiden und die Studentin – Zitat – für etwas standen. Zwei heterosexuelle Frauen, ein homosexueller Mann, aber keinerlei sexuelle Handlungen des Täters. Wir stecken fest. Und er hat Lincoln mitgeteilt, dass er morgen Nachmittag weitermachen wird.«
    »Er hat es Lincoln
mitgeteilt
? Am Telefon oder in einem Brief?«
    »Persönlich«, sagte Rhyme.
    »Hmm. Das muss ja ein nettes Gespräch gewesen sein.«
    »Du ahnst nicht, wie Recht du hast.«
    Sellitto und Rhyme setzten den Psychologen ausführlich über Weirs Verbrechen in Kenntnis und fassten ihre bisherigen Ergebnisse zusammen.
    Dobyns stellte einige Fragen. Dann überlegte er eine Weile.
    »Ich sehe in ihm zwei Kräfte am Werk«, sagte er schließlich. »Aber sie verstärken einander und führen zum gleichen Resultat… Tritt er immer noch als Künstler auf?«
    »Nein, seit dem Brand nicht mehr«, sagte Kara. »Zumindest soweit wir wissen.«
    »Ein Auftritt vor Publikum ist eine so intensive Erfahrung, ein dermaßen tief greifendes Erlebnis, dass ein erfolgreicher Künstler den Verlust dieser Möglichkeit als sehr gravierend empfinden dürfte«, sagte Dobyns. »Schauspieler und Musiker – und ebenso Zauberkünstler, schätze ich – neigen dazu, sich über ihre Karrieren zu definieren. Daher wurde durch das Feuer im Grunde die gesamte frühere Existenz des Mannes ausgelöscht.«
    Der Verschwundene, dachte Rhyme.
    »Das wiederum bedeutet, dass sein Ansporn heutzutage nicht länger Ehrgeiz ist, nicht die Liebe zum Beruf und auch nicht der Wunsch, sein Publikum zu unterhalten, sondern Zorn. Und der wird durch die zweite Kraft zusätzlich verstärkt: Das Feuer hat ihn verunstaltet und seine Lunge geschädigt. Als jemand, der vormals im Rampenlicht stand, wird er sich der Entstellungen ganz besonders bewusst sein. Das lässt seine Wut exponentiell ansteigen. Man könnte es eine Art Phantom-der-Oper-Syndrom nennen. Er selbst wird sich als Monstrosität begreifen.«
    »Und er will es den anderen heimzahlen?«
    »Ja, aber nicht unbedingt im wörtlichen Sinn. Das Feuer hat ihn gewissermaßen ermordet – seine alte Identität –, und indem nun
er
jemanden umbringt, fühlt er sich besser. Es reduziert die Anspannung, die der Zorn in ihm entstehen lässt.«
    »Warum genau diese Opfer?«
    »Keine Ahnung. ›Sie standen für etwas.‹ Was waren doch gleich ihre Berufe?«
    »Eine Musikstudentin, ein Maskenbildner und eine Anwältin, die er allerdings als Reiterin bezeichnet hat.«
    »Etwas an diesen Leuten steht in direkter Verbindung zu seinem Zorn. Ich weiß nicht, worum es sich handeln könnte – dazu wissen wir zu wenig über ihn. Die Standardantwort würde lauten, dass jedes der Opfer maßgeblich mit etwas beschäftigt war, das für Weir ein prägendes Erlebnis darstellte. Das kann eine Krise, aber auch ein herausragend schöner Moment gewesen sein. Vielleicht war seine Frau Musikerin, oder sie haben sich bei einem Konzert kennen gelernt. Der Maskenbildner – nun, das hat eventuell mit seiner Mutter zu tun. Beispielsweise könnten die einzigen glücklichen Erinnerungen an sie darin bestehen, dass er als kleiner Junge im Badezimmer gesessen und ihr beim Schminken zugeschaut hat. Die Pferde? Wer weiß? Womöglich sind er und sein Vater mal ausgeritten, und es hat ihm viel Spaß gemacht. Schöne Erfahrungen wie diese wurden ihm durch das Feuer geraubt, und er wählt sich Opfer aus, die ihn daran erinnern. Es könnte auch genau das Gegenteil sein, und er verbindet nur schlechte Gefühle mit dem, was die Opfer repräsentieren. Ihr sagt, seine Frau sei während einer Probe ums Leben gekommen. Vielleicht hat dabei die ganze Zeit Musik gespielt.«
    »Und er würde sich so viel Mühe machen, den Leuten nachspionieren und diese ausgeklügelten

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