Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Schaden angerichtet hatte – er wies großflächige Vernarbungen auf.
»Irgendein Ausweis?«, fragte Bell.
Sellitto schüttelte den Kopf. »Nur dieses Spielzeug hier«, sagte er mit Blick auf die relativ schlecht gefälschte Dienstmarke.
Weir schaute zur Küche. Sie war leer. Er runzelte die Stirn.
»Oh, die Gradys sind nicht hier«, sagte Bell, als sei das ganz selbstverständlich.
Der Mann schloss die Augen und ließ den Kopf auf den abgewetzten Teppich sinken. »Wie konnten Sie davon wissen?«
Sellitto reagierte ausweichend. »Tja, soll ich Ihnen mal was sagen? Da gibt es jemanden, der wird Ihnen diese Frage gern beantworten. Kommen Sie, wir machen einen kleinen Ausflug.«
Der gefesselte Killer stand im Eingang des Arbeitszimmers. »Willkommen zurück«, sagte Lincoln Rhyme.
»Aber… das Feuer.« Verwirrt schaute der Mann zu der Treppe, die nach oben zum Schlafzimmer führte.
»Tut mir Leid, dass wir Ihnen den Auftritt verdorben haben«, sagte Rhyme kalt. »So ganz konnten Sie mir wohl doch nicht entfliehen, nicht wahr, Weir?«
Der Hexer sah wieder den Kriminalisten an. »So heiße ich nicht mehr«, zischte er.
»Haben Sie Ihren Namen ändern lassen?«
Weir schüttelte den Kopf. »Nicht rechtsgültig. Aber Weir bin ich
früher
mal gewesen. Heute höre ich auf einen anderen Namen.«
Rhyme erinnerte sich an die Aussage des Psychologen Terry Dobyns, das Feuer habe Weirs alte Identität »ermordet« und ihn in jemand anders verwandelt.
Der Killer ließ den Blick über Rhymes Körper wandern. »Sie verstehen das, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass
Sie
auch am liebsten die Vergangenheit vergessen und ein anderer werden würden.«
»Wie nennen Sie sich heute?«
»Das bleibt ein Geheimnis zwischen mir und meinem Publikum.«
Ach ja, sein verehrtes Publikum.
Der mit zwei Paar Handschellen gefesselte, bestürzt und schwach wirkende Weir trug einen grauen Anzug. Die Perücke vom Vorabend war verschwunden; sein eigenes Haar war dicht, lang und dunkelblond. Bei Tageslicht konnte Rhyme die Narben oberhalb des Kragens deutlicher erkennen; sie sahen ziemlich schlimm aus.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte der Mann mit keuchender Stimme. »Ich habe Sie doch zum…«
»Zum Cirque Fantastique geführt? Ja, allerdings.« Immer wenn es Rhyme gelungen war, einen Verdächtigen zu überlisten, besserte seine Laune sich beträchtlich, und er bekam Lust, ein wenig zu plaudern. »Sie wollen sagen, Sie haben uns in die
Irre
geführt. Wissen Sie, ich habe mir noch mal die Beweisstücke angeschaut, und da kam es mir so vor, als würde dieser ganze Fall sich ein bisschen zu einfach gestalten.«
»Einfach?« Er hustete kurz.
»Bei der Spurensicherung unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Beweisen: den unabsichtlich hinterlassenen und den
fingierten
Spuren, die uns auf eine falsche Fährte locken sollen.
Nachdem die anderen losgerannt waren, um beim Zirkus nach Benzinbomben zu suchen, hatte ich irgendwie den Eindruck, manche der Spuren seien uns untergeschoben worden. Sie wirkten so offensichtlich – an den von Ihnen in der Wohnung des zweiten Opfers zurückgelassenen Schuhen klebten Hundehaare und Partikel, die auf den Central Park hindeuteten. Es kam mir in den Sinn, dass ein schlauer Täter die Schuhe absichtlich präpariert und am Tatort platziert haben könnte, damit wir sie finden und an den Hundehügel neben dem Zirkus denken würden. Und dann all das Gerede über Feuer, als Sie gestern Abend bei mir zu Besuch gewesen sind.« Er wandte den Kopf. »Eine verbale Täuschung, richtig, Kara?«
Weirs besorgter Blick musterte die junge Frau von oben bis unten.
»Ja«, bestätigte sie und schüttete sich Zucker in den Kaffee.
»Aber ich habe versucht, Sie zu töten«, keuchte Weir. »Falls ich Ihnen das alles erzählt hätte, um Sie abzulenken, wäre Ihr Tod doch völlig sinnlos gewesen.«
Rhyme lachte. »Sie haben zu keinem Zeitpunkt versucht, mich zu töten. Das war nie Ihre Absicht. Es sollte lediglich so aussehen und die Glaubhaftigkeit Ihrer Erzählungen stützen. Nachdem Sie den Brand gelegt hatten, sind Sie sofort aus dem Haus gerannt und haben von einer Telefonzelle aus die Feuerwehr alarmiert. Ich habe mich bei der Zentrale vergewissert. Der Anrufer hat behauptet, er könne vom Telefon aus die Flammen sehen. Leider steht die Zelle hier gleich um die Ecke, und man hat mein Zimmer von dort aus nicht im Blick. Thom hat das übrigens nachgeprüft. Danke, Thom«, rief Rhyme dem Betreuer zu, der in
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