Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
braunhaariger, bärtiger älterer Mann in Jeans und ausgebeulter Jacke – hatte nicht zu den Zeugen gezählt, da waren die beiden sich einig.
»Das ist er«, sagte Franciscovich. »Das ist der Mörder.« Nancy Ausonio nickte.
Auf dem verschwommenen Band konnte man sehen, wie er sich in die Besucherliste eintrug und dann hineinging. Der Wachmann achtete während der gesamten Zeit nur auf die Liste, nicht auf das Gesicht des Fremden.
»Haben Sie ihn sich denn nicht genauer angesehen?«, fragte Sachs.
»Ich hab nicht darauf geachtet«, erwiderte er ungerührt. »Wer sich einträgt, wird reingelassen. Das ist alles. Das ist mein Job. Ich bin in erster Linie hier, damit niemand mit unserem Kram zur Tür
hinaus
spaziert.«
»Immerhin haben wir seine Unterschrift, Rhyme. Und einen Namen. Natürlich dürfte beides gefälscht sein, aber wenigstens ist es eine Handschriftenprobe. Wo hat er unterzeichnet?«, fragte Sachs, streifte sich Latexhandschuhe über und nahm das Besucherbuch.
Sie spulten das Band zurück und ließen es vom Anfang ablaufen. Der Mörder war die vierte Person, die sich eintrug, aber an vierter Stelle der Liste stand der Name einer Frau.
»Zählt alle Leute, die sich heute da verewigt haben«, rief Rhyme.
Sachs gab die Anweisung weiter, und so verfolgten sie, wie neun Personen ihre Namen eintrugen – acht Studenten, darunter das Opfer, und der Mörder.
»Insgesamt neun, Rhyme, aber auf der Liste stehen nur acht Namen.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Sellitto.
»Ist der Wachmann sicher, dass der Täter sich auch wirklich eingetragen hat?«, warf Rhyme ein. »Vielleicht hat er bloß so getan.«
Amelia reichte die Frage an den seelenruhig wirkenden Mann weiter.
»Doch, das hat er. Ich hab’s gesehen. Ich achte nicht immer auf die Gesichter, aber ohne Unterschrift kommt mir hier keiner ins Haus.«
Das ist alles. Das ist mein Job.
Sachs schüttelte den Kopf und grub einen Fingernagel tief in die Nagelhaut ihres Daumens.
»Na gut, dann bring mir das Besucherbuch zusammen mit dem anderen Zeug her, und wir sehen es uns genauer an«, sagte Rhyme.
In einer Ecke des Raums stand eine junge Asiatin mit vor der Brust verschränkten Armen und schaute durch die ungleichmäßige Bleiverglasung nach draußen. Dann drehte sie sich um und sah Sachs an. »Ich hab gehört, was Sie gesagt haben. Es klang so, als ob Sie nicht wüssten, ob der Kerl das Gebäude verlassen hat, nachdem… Hinterher, meine ich. Glauben Sie, er ist immer noch hier?«
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Sachs. »Wir sind uns lediglich nicht sicher,
wie
er entkommen konnte.«
»Aber wenn Sie das nicht wissen, dann könnte er sich doch
tatsächlich
noch irgendwo im Haus versteckt halten, um dem nächsten Opfer aufzulauern. Und Sie haben nicht die geringste Ahnung, wo das sein wird.«
Sachs lächelte ihr beruhigend zu. »Solange diese Frage ungeklärt ist, werden jede Menge Polizisten hier sein. Sie brauchen keine Angst zu haben.«
Doch sie dachte etwas anderes: Das Mädchen hat absolut Recht. Ja, womöglich ist er noch hier und will erneut zuschlagen.
Und nein, wir haben keinerlei Anhaltspunkte für seine Identität oder seinen Aufenthaltsort.
…Vier
Und nun, verehrtes Publikum, legen wir eine kurze Pause ein.
Bitte erinnern Sie sich mit Wohlgefallen an den
Faulen Henker
… und genießen Sie die Vorfreude auf die kommenden Ereignisse.
Machen Sie es sich bequem.
Unsere nächste Nummer folgt in Kürze…
Der Mann ging an der Upper West Side von Manhattan den Broadway entlang. An einer Ecke hielt er plötzlich inne, als sei ihm gerade etwas eingefallen, und trat in den Schatten eines Gebäudes. Dort nahm er sein Mobiltelefon vom Gürtel und hob es ans Ohr. Dann sprach er, lächelte gelegentlich, so wie die meisten Leute es beim Telefonieren taten, und ließ beiläufig den Blick in die Runde schweifen, was in dieser Situation ebenfalls nicht unüblich war.
In Wahrheit führte er allerdings gar kein Telefonat, sondern vergewisserte sich, dass niemand ihm von der Musikschule gefolgt war.
Inzwischen sah Malerick völlig anders aus. Er war nun blond und bartlos, trug einen Jogginganzug und ein hochgeschlossenes Trikot. Hätten die Passanten genauer auf ihn geachtet, wären ihnen vielleicht ein paar Besonderheiten aufgefallen: Oberhalb des Kragens erstreckte sich ledriges Narbengewebe den Hals hinauf, und zwei Finger seiner linken Hand – der kleine und der Ringfinger – waren miteinander verschmolzen.
Aber es achtete
Weitere Kostenlose Bücher