Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Auch die Proportionen wirkten ganz anders. Er sah dem Mann, der er eben noch gewesen war, kaum mehr ähnlich.
»Ganz anders als bei den Masken in
Mission: Impossible
, hm? Von wegen schnell mal auf- und wieder absetzen.«
»Nein, echte Masken sind überhaupt nicht so.«
»Die Finger auch.« Rhyme wies mit dem Kopf auf die linke Hand des Täters.
Um die vermeintliche Verschmelzung glaubhaft wirken zu lassen, hatte er die Finger mit einer Bandage zusammengebunden und unter einer dicken Latexprothese verborgen. Als Folge waren die zwei Finger nun runzlig, kraftlos und käseweiß, ansonsten aber natürlich vollkommen normal. Sachs untersuchte sie. »Ich wollte Rhyme eigentlich fragen, warum Sie die Prothese gestern auf dem Marktplatz nicht einfach abgenommen haben – schließlich suchten wir ja nach einem Mann mit deformierter linker Hand.« Aber die beiden Finger sahen auch so ziemlich entstellt aus und hätten ihn daher verraten.
Rhyme nahm den Killer genau in Augenschein. »Fast ein perfektes Verbrechen«, sagte er. »Ein Täter, der dafür sorgt, dass jemand anders verdächtigt wird. Wir wären von Weirs Schuld überzeugt gewesen, denn immerhin lag eine eindeutige Identifizierung vor. Dann hätte er sich einfach in Luft aufgelöst. Loesser hätte sein eigenes Leben weiterführen können, und der Ausbrecher – Weir – wäre nie wieder aufgetaucht. Der Verschwundene.«
Und obwohl Loesser die ersten drei Opfer nicht aufgrund eines tiefen psychologischen Zwangs ausgewählt hatte, sondern nur, um die Polizei in die Irre zu führen, traf Terry Dobyns’ Diagnose hundertprozentig zu – er wollte sich für das Feuer rächen, das ihm einen geliebten Menschen geraubt hatte. Allerdings ging es dabei nicht um Weirs gescheiterte Karriere und den Tod seiner Frau, sondern um
Loessers
Verlust: den seines Mentors Weir höchstpersönlich.
»Aber eines verstehe ich nicht«, sagte Sellitto. »Durch den Austausch der Karteikarten wollte er sicherstellen, dass wir den echten Weir jagen. Wieso sollte er seinem Mentor so etwas antun?«
»Warum habe ich wohl die beiden kräftigen jungen Beamten gebeten, mich die Stufen zu dieser äußerst unzugänglichen Wohnung hinaufzuschleppen, Lon?«, fragte er und ließ den Blick in die Runde schweifen. »Ich wollte das Gitternetz selbst abschreiten – oh, Verzeihung, es müsste wohl eher ab
rollen
heißen.« Mit Hilfe des Touchpads steuerte er nun den Storm Arrow geschickt durch das Zimmer, blieb vor dem Kaminsims stehen und schaute nach oben. »Ich glaube, ich habe unseren Täter gefunden, Lon.« Dort auf dem Sims standen eine Kerze und ein Kasten mit Einlegearbeiten. »Das da ist Erick Weir, richtig? Seine Asche.«
»Ja, das stimmt«, sagte Loesser leise. »Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, und wollte unbedingt von der Intensivstation in Ohio weg, um in seinem Haus in Las Vegas sterben zu können. Eines Nachts habe ich ihn dort rausgeholt und nach Hause gefahren. Ein paar Wochen später war er tot. Ich habe den Nachtwächter eines Krematoriums bestochen und ihn eingeäschert.«
»Und die Fingerabdrücke?«, fragte Rhyme. »Haben Sie sie ihm nach dem Tod abgenommen und entsprechende Stempel angefertigt, um die falsche Karteikarte vorbereiten zu können?«
Loesser nickte.
»Demnach haben Sie all dies schon seit Jahren geplant?«
»Ja!«, erwiderte Loesser hitzig. »Sein Tod ist wie eine Brandwunde, die immer noch schmerzt.«
»Sie haben so viel riskiert, um Ihren Boss zu rächen?«, fragte Bell.
»Boss? Er war viel mehr als mein
Boss
«, fuhr Loesser ihn wütend an. »Sie begreifen überhaupt nichts. An meinen Vater denke ich nur ein paar Mal im Jahr – und der ist noch am Leben. An Mr. Weir denke ich rund um die Uhr. Seit jenem ersten Tag, als er in diesen Laden in Vegas kam, wo ich gerade auftrat… Damals habe ich mich der junge Houdini genannt… Ich war vierzehn. Was für ein Tag! Er sagte, er würde mir zu einer Vision und damit zu wahrer Größe verhelfen. An meinem fünfzehnten Geburtstag bin ich von zu Hause weggelaufen, um mit ihm auf Reisen zu gehen.« Seine Stimme zitterte, und er verstummte kurz. »Mr. Weir hat mich geschlagen, mich angeschrien und mir das Leben zur Hölle gemacht, aber manchmal sah er, was in mir steckte. Er hat sich um mich gekümmert. Er hat mir das Illusionistenhandwerk beigebracht…« Das Gesicht des Mannes umwölkte sich. »Und dann wurde er mir weggenommen. Wegen Kadesky. Er und sein beschissenes
Geschäft
haben Mr. Weir
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