Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
dort.«
»Ah, na bitte.«
Schweigend ließ Sachs einen Moment vergehen.
»Tja, falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an«, sagte sie dann und lächelte freundlich, wie es sich für einen guten Staatsbediensteten gehörte, erst recht für einen Sergeant des NYPD (»Merke: Kontakt zu den Bürgern ist genauso wichtig wie die eigentliche Ermittlungsarbeit«).
»Viel Glück, Officer«, sagte Balzac.
»Danke«, erwiderte sie.
Du teilnahmsloser Mistkerl.
Sie nickte zum Abschied der jungen Frau zu und registrierte den Pappbecher, aus dem sie trank. »He, gibt’s hier irgendwo in der Nähe anständigen Kaffee?«
»Ecke Fünfte und Neunzehnte«, lautete die Antwort.
»Da kriegt man auch gute Bagels«, sagte Balzac. Nun, da er sich weder anzustrengen noch ein Risiko einzugehen brauchte, wirkte er auf einmal sehr leutselig.
Sachs verließ den Laden, wandte sich in Richtung Fünfte Avenue und fand das empfohlene Café. Sie ging hinein und bestellte einen Cappuccino. Dann lehnte sie sich an den schmalen Mahagonitresen vor dem fleckigen Fenster, nippte an dem heißen Getränk und beobachtete das samstägliche Treiben hier in Chelsea – Verkäufer aus den Bekleidungsgeschäften der Gegend, Berufsfotografen und ihre Assistenten, reiche Yuppies, die in den riesigen Lofts wohnten, arme Künstler, junge und alte Liebespaare sowie ein oder zwei seltsame Gestalten, die sich immerfort Notizen machten.
Und die Angestellte eines Ladens für Zaubereibedarf, die soeben das Café betrat.
»Hallo«, sagte die Frau mit dem rötlich lilafarbenen Haar, die eine abgenutzte Handtasche aus falschem Zebrafell über der Schulter trug. Sie bestellte einen großen Kaffee, schüttete etwas Zucker hinein und gesellte sich zu Sachs.
Amelia hatte im Smoke & Mirrors nur deswegen nach einem Café gefragt, weil ein verstohlener Blick der Angestellten zu besagen schien, dass diese unter vier Augen mit ihr sprechen wollte.
Durstig trank die junge Frau nun ihren Kaffee. »Wissen Sie, David ist generell…«, setzte sie an.
»Wenig entgegenkommend?«
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ja. Das beschreibt es recht gut. Er misstraut allem, was außerhalb seiner eigenen Welt liegt, und will nichts damit zu tun haben. Er hat befürchtet, wir würden Zeugenaussagen zu Protokoll geben müssen oder so. Ich soll nicht abgelenkt werden.«
»Wovon?«
»Von dem Beruf.«
»Der Zauberkunst?«
»Ja. David ist eigentlich eher mein Mentor als mein Chef.«
»Wie heißen Sie?«
»Kara – das ist mein Künstlername, aber ich benutze ihn meistens.« Sie lächelte gequält. »Er gefällt mir besser als der Name, den meine Eltern mir dankenswerterweise verpasst haben.«
Sachs hob fragend eine Augenbraue.
»Der bleibt mein Geheimnis.«
»Na gut«, sagte Sachs. »Was hatte der Blick drüben im Laden zu bedeuten?«
»In Bezug auf die Liste hat David Recht. Man kann die Sachen überall kaufen, in praktisch jedem Geschäft. Oder bei einem von vielen hundert Internethändlern. Aber die Darbys, diese Handschellen, die sind selten. Sie sollten sich mit dem Houdini and Escapology Museum in New Orleans in Verbindung setzen. Es ist das beste auf der ganzen Welt. Ich interessiere mich sehr für Entfesselungskunst, aber
ihm
erzähle ich nichts davon.« Es klang regelrecht ehrfürchtig, wie sie von Balzac sprach. »David ist ein wenig eigensinnig… Können Sie mir verraten, was bei diesem Mord geschehen ist?«
Für gewöhnlich gab Sachs nur sehr zögernd Informationen über laufende Ermittlungen preis, aber in diesem Fall waren sie auf fremde Hilfe dringend angewiesen, und so schilderte sie Kara in groben Zügen den Ablauf der Ereignisse.
»O wie furchtbar«, flüsterte die junge Frau.
»Ja«, entgegnete Sachs leise. »Das ist es.«
»Die Art, wie er geflohen ist… Da gibt es etwas, das Sie wissen sollten, Officer. Übrigens, ist der Dienstgrad überhaupt richtig, oder sind Sie ein Detective oder so?«
»Nennen Sie mich einfach Amelia.« Sie musste unwillkürlich an die erfolgreich absolvierte Prüfung denken.
Peng, peng…
Kara trank einen Schluck, kam zu dem Schluss, dass der Kaffee noch nicht süß genug war, schraubte den Deckel des Zuckerstreuers ab und schüttete nach. Sachs beobachtete die geschickten Hände der jungen Frau und schaute hinunter auf ihre eigenen Fingernägel; zwei waren eingerissen, die Nagelhaut blutig. Die des Mädchens waren perfekt gefeilt, und in dem glänzenden schwarzen Lack spiegelten sich detailgetreue
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