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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Verstand des Publikums soll in die Irre geführt werden. Der Zuschauer soll nicht darüber lachen, dass ein Geldstück verschwindet; er soll von ganzem Herzen glauben, was er sieht, obwohl es sich in Wahrheit genau umgekehrt verhält. Eines sollten Sie stets bedenken. Vergessen Sie es auf gar keinen Fall.«
    »Was denn?«, fragte Rhyme.
    »Täuschung… Mr. Balzac sagt, sie sei der Kern einer jeden Illusion. Kennen Sie den Ausdruck, die Hand sei schneller als das Auge? Tja, das stimmt nicht. Das Auge ist immer schneller. Daher
verleitet
ein Illusionist das Auge dazu, nicht zu bemerken, was die Hand tut.«
    »Meinen Sie, er startet ein Ablenkungsmanöver oder stiftet Verwirrung?«, fragte Sellitto.
    »Das ist ein Teil davon. Die Täuschung zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit des Publikums bewusst zu steuern. Balzac hat mir jede Menge Regeln eingehämmert – zum Beispiel, dass die Zuschauer etwas Vertrautes ignorieren, um sich stattdessen auf das Ungewöhnliche zu konzentrieren. Sie nehmen eine Reihe von Dingen überhaupt nicht wahr, wenn es eines gibt, das sich merklich davon abhebt. Sie kümmern sich nicht um reglose Gegenstände oder Personen, sondern reagieren auf Bewegungen. Soll etwas unsichtbar werden? Man muss eine Geste nur vier- oder fünfmal wiederholen, und schon schweift das Interesse des Publikums gelangweilt ab. Die Leute können dir direkt auf die Hände starren und werden doch nicht sehen, was du tust. Das ist genau der Moment, auf den du gewartet hast.
    Okay, also… Der Täter wird zwei verschiedene Arten der Täuschung einsetzen: zunächst die
physische
Täuschung. Schauen Sie mir zu.« Kara trat neben Sachs, hob langsam den rechten Arm, wies auf einen Punkt an der Wand und kniff die Augen zusammen. Dann ließ sie die Hand wieder sinken. »Sehen Sie, Sie haben auf meinen Arm und auf die Stelle an der Wand geachtet. Eine vollkommen natürliche Reaktion. Vermutlich ist keinem von Ihnen aufgefallen, dass ich mit meiner Linken nach Amelias Waffe gegriffen habe.«
    Sachs zuckte kaum merklich zusammen, sah an sich herunter und erkannte, dass Kara die Glock tatsächlich ein Stück aus dem Holster gezogen hatte.
    »Seien Sie bloß vorsichtig damit«, sagte Amelia und steckte die Pistole wieder zurück.
    »Jetzt schauen Sie in diese Ecke.« Kara streckte erneut den rechten Arm aus. Diesmal behielten Rhyme und die anderen natürlich ihre linke Hand im Blick.
    »Sie haben meine Linke nicht aus den Augen gelassen, oder?« Sie lachte. »Aber Sie haben meinen Fuß ignoriert, der dieses weiße Ding hinter dem Tisch weggeschoben hat.«
    »Eine Bettpfanne«, stellte Rhyme lakonisch fest. Es ärgerte ihn, dass er der jungen Frau schon wieder auf den Leim gegangen war. Indem er den peinlichen Gegenstand benannte, den sie verschoben hatte, hoffte er ein oder zwei Punkte wettzumachen.
    »Ach ja?«, fragte sie völlig unbeeindruckt. »Nun, es ist nicht nur eine Bettpfanne, sondern außerdem eine Täuschung. Während Sie nämlich dorthin geblickt haben, habe ich das hier mit meiner
anderen
Hand erbeutet. Bitte schön«, sagte sie. »Ist das wichtig?« Sie gab Sachs eine Dose Pfefferspray.
    Amelia runzelte die Stirn, steckte die Dose zurück in die Gürtelschlaufe und überprüfte, ob noch etwas fehlte.
    »Das wäre also die
physische
Täuschung. Sie ist ziemlich einfach, ganz im Gegensatz zur
psychologischen
Täuschung. Die Zuschauer sind nicht dumm. Sie wissen, dass man versuchen wird, sie zu überlisten. Immerhin sind die Leute aus genau diesem Grund in die Vorstellung gekommen, oder? Deshalb bemühen wir uns, das Misstrauen des Publikums zu beschwichtigen oder gar zu überwinden. Die wichtigste Regel der psychologischen Täuschung lautet, sich ungekünstelt zu verhalten. Man tut und sagt Dinge, die den Erwartungen der Zuschauer entsprechen, doch gleichzeitig könnte man unbemerkt einen…«
    Sie verstummte schlagartig, denn ihr wurde klar, dass sie beinahe ein Sinnbild gewählt hätte, das am Morgen auf schreckliche Weise real geworden war.
    »Sobald du dich unnatürlich benimmst«, fuhr Kara schließlich fort, »kommt das Publikum dir auf die Schliche. Okay, ich sage, ich werde Ihre Gedanken lesen, und tue dann Folgendes.« Sie legte Sachs die Hände auf beide Schläfen und schloss kurz die Augen.
    Dann wich sie zurück und gab Amelia den Ring, den diese soeben noch am linken Ohr getragen hatte.
    »Ich habe nicht das Geringste gespürt.«
    »Aber die Zuschauer würden sofort wissen, wie ich es angestellt habe –

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