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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Augenbrauen. Ein paar Dutzend Striche mit einem dünnen sienafarbenen Stift verliehen ihm die Falten einer Fünfundsiebzigjährigen. Dann wechselte er die Schuhe.
    Zur Vorbereitung der Täuschung nahm er eine Einkaufstasche, füllte sie halb mit Zeitungspapier – sowie mit dem Rohr und der anderen Waffe, die er für seine Nummer benutzt hatte – und verstaute zuletzt eine große frische Ananas aus Calverts Küche darin. Falls er beim Verlassen des Gebäudes jemandem begegnete, würde der ihm vielleicht einen kurzen Blick zuwerfen, sich im Wesentlichen aber auf die stattliche Ananas konzentrieren. Und genau das war dann tatsächlich der Fall, als er den eintreffenden Polizisten höflich die Tür aufhielt.
    Nun, etwa vierhundert Meter von dem Haus entfernt und noch immer als Frau verkleidet, blieb er stehen und lehnte sich kurz an eine Wand, als müsse er wieder zu Atem kommen. Dann bog er in eine dunkle Gasse ab, riss sich das Kleid, das von winzigen Klettverschlüssen zusammengehalten wurde, mit einem Ruck vom Leib und versteckte es samt der Perücke unter der dreißig Zentimeter breiten elastischen Bandage, die er um den Bauch trug. Dort wurden die Gegenstände bis auf wenige Millimeter zusammengepresst und blieben unter seinem Hemd unsichtbar.
    Er zog die Hosenbeine herunter, entnahm einem Beutel in seiner Tasche einige Wattepads und wischte sich damit das Rouge, die Falten und den Augenbrauenstift aus dem Gesicht. Mit einem kleinen Taschenspiegel überzeugte er sich, dass alle Schminkspuren beseitigt waren. Die gebrauchten Pads warf er zu der Ananas in den Einkaufsbeutel und steckte diesen dann in eine grüne Mülltüte.
    Als Nächstes suchte er sich einen Wagen, der im Halteverbot stand, knackte das Kofferraumschloss und legte die Tüte hinein. Die Polizei würde niemals auf den Gedanken kommen, die Kofferräume geparkter Autos zu durchsuchen, und zudem wäre das Fahrzeug wahrscheinlich längst abgeschleppt, bevor der Eigentümer zurückkehrte.
    Auf der Straße wandte Malerick sich in Richtung der nächstbesten U-Bahn-Linie, die zur West Side fuhr.
    Und wie hat Ihnen unsere zweite Nummer gefallen, verehrtes Publikum?
    Er selbst war recht zufrieden mit dem Ergebnis, vor allem angesichts der Tatsache, dass er auf den verfluchten Pflastersteinen ausgerutscht war und der Proband zunächst fliehen und zwei Türen hinter sich verschließen konnte.
    Doch noch im Laufen hatte Malerick bereits die Dietriche gezückt.
    Die hohe Kunst des Schlösseröffnens war ihm seit vielen Jahren vertraut und gehörte zu den ersten Dingen, die sein Mentor ihm damals beigebracht hatte. Man brauchte dazu zwei Werkzeuge: eine Blattfeder, die in das Schloss gesteckt und gekippt wurde, um Druck auf die Zapfen im Innern auszuüben, und den eigentlichen Dietrich, der jeden einzelnen Zapfen aus dem Weg schob und dadurch das Drehen des Schließzylinders ermöglichte.
    Diese Vorgehensweise war mitunter sehr zeitraubend, und so hatte Malerick sich eine überaus schwierige Technik angeeignet, die man als »scheuern« bezeichnete. Dabei wurde der Dietrich schnell vor und zurück bewegt und stieß die Zapfen des Schlosses beiseite. Das funktionierte nur dann, wenn es dem Ausübenden gelang, exakt die richtige Kombination aus Drehmoment auf dem Zylinder und Druck auf den Zapfen zu finden. Mit den wenige Zentimeter langen Werkzeugen hatte Malerick insgesamt knapp dreißig Sekunden benötigt, um erst das Schloss des Hinterausgangs und dann Calverts Wohnungstür zu öffnen.
    Kommt Ihnen das unmöglich vor, verehrtes Publikum?
    Aber sehen Sie, genau das ist die Aufgabe eines Illusionisten: das Unmögliche real werden zu lassen.
    An der Treppe zur U-Bahn-Station kaufte er sich eine
New York Times
und blätterte ein paar Seiten um, während er in Wirklichkeit die Passanten beobachtete. Auch diesmal schien ihm niemand gefolgt zu sein. Er lief die Stufen hinunter, um die Bahn nicht zu verpassen. Ein noch vorsichtigerer Künstler hätte womöglich etwas länger gewartet, um absolut sicherzugehen, doch Malerick blieb nicht viel Zeit. Die nächste Nummer würde überaus schwierig werden und erforderte einige Vorarbeit.
    Er stellte sich gern großen Herausforderungen und wollte nicht riskieren, sein Publikum zu enttäuschen.

…Elf
    »Hier sieht’s ziemlich übel aus, Rhyme.«
    Amelia Sachs stand mitten in Alphabet City an der Tür von Apartment 1J und sprach in das Mikrofon ihres Headsets.
    Einige Stunden zuvor hatte Lon Sellitto angeordnet, dass die

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