Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
werden.«
»Und das in der heutigen Zeit?«
»Glauben Sie mir, Sie wären überrascht.«
Bell nickte Luis zu. »Er steht jetzt unter deiner Obhut. Lass ihn nicht aus den Augen.«
»Selbstverständlich«, sagte der Detective. Grady und sein schlanker Leibwächter verließen die Lobby, während Sachs und Bell sich am Schalter ihre Waffen zurückholten und dann ebenfalls die Seufzerbrücke betraten. Auf dem Weg in das Justizgebäude setzte Amelia den Kollegen über den Hexer und seine Opfer in Kenntnis.
Als Bell von Anthony Calverts grauenhaftem Tod hörte, erschauderte er unwillkürlich. »Das Motiv?«
»Kennen wir nicht.«
»Das Schema?«
»Dito.«
»Wie sieht der Täter aus?«
»Auch in diesem Punkt müssen wir passen.«
»Ihr wisst
gar nichts
über ihn?«
»Wir glauben, er ist ein Weißer von mittlerer Statur.«
»Demnach hat niemand ihn zu Gesicht bekommen, richtig?«
»Im Gegenteil, er wurde sogar von mehreren Leuten gesehen. Allerdings war er beim ersten Mal ein dunkelhaariger Mittfünfziger mit Vollbart, beim zweiten Mal ein glatzköpfiger Hauswart Anfang sechzig und zuletzt eine Frau Mitte siebzig.«
Bell erwartete, dass sie lachen und ihn über den Scherz aufklären würde, doch nichts dergleichen geschah. »Das war kein Witz?«
»Leider nicht, Roland.«
»Ich bin gut«, sagte Bell kopfschüttelnd und klopfte auf die Automatikpistole, die rechts an seinem Gürtel hing. »Aber ich brauche ein Ziel.«
Du nimmst mir das Wort aus dem Mund, dachte Amelia Sachs.
…Zwölf
Die sichergestellten Spuren vom zweiten Tatort waren eingetroffen, und Mel Cooper breitete die Tüten und Röhrchen soeben auf mehreren Tischen in Rhymes Arbeitszimmer aus.
Sellitto kam von einer unangenehmen Besprechung im Big Building zurück. Der stellvertretende Polizeichef und der Bürgermeister wollten Einzelheiten über die Fortschritte eines Falls erfahren, zu dem es nur wenige Einzelheiten und keinerlei Fortschritte zu vermelden gab.
Unterdessen hatte Rhyme Erkundigungen über die ukrainischen Illusionisten vom Cirque Fantastique eingezogen und erfahren, dass nichts gegen sie vorlag. Die beiden Beamten, die zu dem Zelt abkommandiert worden waren, hatten sich ausgiebig dort umgesehen und meldeten keine neuen Erkenntnisse oder verdächtigen Vorfälle.
Kurz darauf betrat Sachs das Zimmer und brachte den besonnenen Roland Bell mit. Als Sellitto die Anweisung erteilt worden war, das Team durch einen weiteren Detective zu verstärken, hatte Rhyme sofort Bell vorgeschlagen; er hatte ein gutes Gefühl dabei, dort draußen im Einsatz einen erfahrenen Cop und Meisterschützen hinter Sachs zu wissen.
Bell begrüßte alle Anwesenden, doch Kara war neu für ihn. Er sah sie fragend an.
»Ich bin so eine Art Beraterin«, sagte sie und deutete auf Rhyme. »Ähnlich wie er.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Bell und registrierte erstaunt, dass sie ganz beiläufig drei Münzen gleichzeitig über die Knöchel einer Hand wandern ließ.
Sachs ging zu Cooper, um mit der Arbeit an den Spuren zu beginnen.
»Wer war das Opfer?«, fragte Rhyme.
»Anthony Calvert. Zweiunddreißig. Unverheiratet. Na ja, ohne festen Freund müsste es in seinem Fall wohl heißen.«
»Kannte er die Frau von der Musikschule?«
»Anscheinend nicht«, sagte Sellitto. »Bedding und Saul haben das überprüft.«
»Was war er von Beruf?«, fragte Cooper.
»Maskenbildner am Broadway.«
Und die Erste war Musikerin und Studentin, grübelte Rhyme. Eine heterosexuelle Frau und ein homosexueller Mann aus unterschiedlichen Ecken der Stadt. Welche Verbindungen mochte es da geben? »Irgendwelche Anzeichen für sexuelle Beweggründe?«, fragte er.
Doch da auch das erste Verbrechen nicht in diese Kategorie gefallen war, überraschte ihn Sachs’ Antwort nicht: »Nein. Es sei denn, er nimmt seine Erinnerungen mit nach Hause ins Bett… und lässt sich hiervon erregen.« Sie trat an die Tafel und hängte die Digitalfotos der Leiche auf.
Rhyme fuhr mit seinem Rollstuhl näher heran und nahm die grausigen Bilder prüfend in Augenschein.
»Kranke Scheiße«, lautete Sellittos teilnahmslose Feststellung.
»Was für eine Waffe hat er benutzt?«, fragte Roland Bell.
»Das sieht nach einem Fuchsschwanz aus«, sagte Cooper, der einige Nahaufnahmen der Verletzungen betrachtete.
Bell, der als Polizist sowohl in North Carolina als auch in New York schon so manches Blutbad gesehen hatte, schüttelte den Kopf. »O Mann, das ist ganz schön heftig.«
Rhyme vernahm
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