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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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dieser mysteriöse Sog existiert, wird es Russland geben. Und diese Kraft, das sind keine Kanonen, keine Soldaten, keine Beamten, sondern dieses Leuchten, wie die Stadt der Wunder, die Daniel erschienen war. Wenn das Leuchten verblasst und die Kraft erschlafft, dann werden ganze Stücke von Russland abfallen. Wenn die Flamme ganz verlöscht, wird Russland untergehen wie das Alte Rom. Oder an ihre Stelle wird vielleicht eine neue Kraft treten, wie das auch in Rom geschah, aber ob diese Kraft Russland oder irgendwie anders heißen wird, das weiß nur Gott.
    Bei der schnellen Fahrt und Daniels ruhigem Atmen konnte er gut denken, richtig mit Schwung. Vorwärts, weiter vorwärts!
    Sie hielten nur an, um die Pferde zu wechseln, und legten so in einer Nacht und einem Tag dreihundert Werst zurück. Vondorin zahlte an den Haltestellen großzügig (er hatte offenbar bei seinem Nowgoroder Freund viel Geld aufgetrieben), so dass sie keine Verzögerung hatten.
    Sie übernachteten in Twer. Nicht in einem Gasthaus und nicht auf einem Posthof, sondern im Hause eines Bürgers, um nicht aufzufallen. Morgens früh, noch vor dem Tageslicht, brachen sie wieder auf. Bei diesem Tempo konnten sie schon abends in Moskau eintreffen.
    Von wegen!
    Anderthalb Stunden hinter Twer, als sie durch ein großes Dorf kamen, löste sich bei dem Mittelpferd ein Hufeisen. Der Kutscher brachte es zu einer Schmiede, während die Reisenden sich die Beine vertraten.
    Das Dorf hieß Gorodnja, und was in ihm vor sich ging, war ein Rätsel.
    Überall hörte man Weiber jammern und sah, wie Soldaten im Dreispitz mit weißen Gamaschen und langen Zöpfen junge Burschen von den Höfen zerrten. Wer sich weigerte, bekam eins mit dem Stock.
    »Was ist das für eine ausländische Invasion?«, fragte Daniel finster. »Das sind doch preußische Uniformen!«
    Aber es sah nicht nach dem Einmarsch eines deutschen Heeres aus, denn die Soldaten gebrauchten saftige Ausdrücke, welche die Untertanen des preußischen Königs nie im Leben kennen konnten. Man trieb die Gefangenen auf den Platz vor der Kirche.
    Dahin wollten Mitja und Vondorin gerade.
    Auf dem Platz schlug jemand träge eine Trommel, Fuhrwerke standen herum, ein Offizier saß auf einem Klappstuhl in einem über die Schultern geworfenen Halbpelz und malte gelangweilt mit dem Stock Zeichen in den Schnee. Das Gesicht des Vorgesetzten war aufgedunsen, verkatert.
    Daniel ging auf ihn zu und fragte:
    »Kann ich erfahren, Herr Oberleutnant, was hier vor sich geht? Mit welchem Ziel sammeln Ihre Soldaten diese Jünglinge ein und fesseln sie? Sind das denn alles Verbrecher?«
    Der Offizier blickte den Fragenden an, und als er sah, dass es sich um einen Adeligen handelte, erhob er sich.
    »Das Übliche, gnädiger Herr. Wir suchen Rekruten; sie verstecken sich, weil sie nicht dem Vaterland dienen wollen. Hirnlose Idioten sind das. Die wollen nicht verstehen, dass bei den Soldaten das Essen besser und der Dienst lustiger ist.«
    Sie dankten für die Erklärung und gingen weiter. Es ging ihnen nahe, die herzzerreißenden Schreie der armen Mütter zu hören, deren Söhne man einzog, und die Tränen der Mädchen zu sehen, die ihre Bräutigame verloren.
    »Was hältst du davon, mein Freund?«, fragte Daniel.
    Mitja legte sich ins Zeug und trug seine Gedanken zu einer Armee freier Menschen vor – es waren dieselben, die er noch vor kurzem der Kaiserin hatte beibringen wollen und die so unerwartet traurige Folgen gehabt hatten.
    Vondorin hörte zu und nickte.
    »Wie richtig das ist, mein guter Dmitri. Seltsam, dass unsere Herrscher so eine einfache Sache nicht verstehen. Die Verteidigung des Vaterlandes ist eine der wichtigsten und vornehmsten Beschäftigungen. Wie kann man sie Grünschnäbeln anvertrauen, die, wie man an ihrem Geheul sieht, nicht das geringste Faible für dieses Handwerk haben? Ich wäre zu vorsichtig, um solchen unsicheren Bürgern eine tödliche Waffe in die Hand zu geben – der Verstand möge verhüten, dass sie sich oder anderen eine Verletzung beibringen. Eine Waffe sollten Leute tragen, deren Wunsch das entspricht.«
    »Aber nur Freiwillige, das reicht wahrscheinlich nicht?«, äußerte Mitja Zweifel. »Woher soll man so viele nehmen, dass man das ganze Reich verteidigen kann? Viele wollen uns an den Kragen. Gerade erst haben wir die Türken, die Polen und die Schweden geschlagen, da rücken uns schon wieder die Franzosen auf die Pelle.«
    »Und ob das reicht! Weißt du, Dmitri, die Natur hat es so

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