Der Favorit der Zarin
sich auf die Lippe; er war offenbar gekränkt über ihre Worte, wollte aber Pawlina nicht widersprechen. Stattdessen sagte er kurz angebunden:
»Ihr irrt Euch in allen drei Punkten, Gräfin. Ihr werdet weder eine Kutsche noch einen Kutscher noch den Knaben haben. Die nehme ich nämlich.«
»Wie?«, stammelte sie. »Das verstehe ich nicht.«
»Die Kutsche kennen Eure Verfolger gut, da finden sie Euch im Handumdrehen. Ihr braucht keinen Kutscher zu mieten, ich besorge Euch jemand. Was Dmitri angeht, der fährt mit mir.«
»Ich verstehe nach wie vor nicht. . .«
»Was gibt es denn da zu verstehen! Mit Ihrer Kutsche fahre ich. Ich setze mich ans Fenster, ziehe Ihren Mantel an und schiebe die Kapuze ins Gesicht. Der kleine Kosak sitzt beim Kutscher auf dem Bock, so dass ihn alle sehen können. Kein Mensch kommt auf die Idee, dass Ihr nicht in der Kutsche sitzt. Euren Verfolgern wird man sagen, Ihr seid unterwegs nach Moskau.«
»Und wo soll ich hin?«, fragte Pawlina verwundert.
»Ich setze Euch jetzt auf einen Schlitten und schicke Euch zu einem guten Bekannten, den ich schon erwähnt habe. Hier ist der Brief, in dem ich ihn bitte, Euch in Begleitung eines treuen Dieners auf einem Umweg nach Moskau zu schaffen. Modest wird alles gewissenhaft ausführen, er ist mir treu, denn er ist mein Bruder.«
»Ein leiblicher Bruder?«, fragte die Gräfin fassungslos.
»Nein, ein geistiger, das ist wertvoller als ein leiblicher.«
»Aber . . . Der Zorn dieser bösen Menschen wird sich doch gegen Euch richten, wenn sie den Tausch entdecken.«
»Das ist nicht Eure Sorge.«
»Wie, nicht meine Sorge?« Ihre Verstörung ging in Wut über. »Meint Ihr allen Ernstes, ich sei imstande, dieses Kind Pikin zu überlassen? Auch das Geschick von Ihnen ist mir nicht gleichgültig. Ihr Plan hat einen Fehler. Es wäre besser, wenn wir die Kutsche hier ließen und die großzügige Hilfe Ihres Freundes in Anspruch nähmen. Wir fahren zusammen auf Schleichwegen nach Moskau!«
Pawlina sprang abrupt auf und stürzte mit flehend erhobenen Händen zu Vondorin. In ihren Augen glänzten Tränen.
Die im Saal Sitzenden beobachteten diese Szene neugierig. Mitja dachte: Wir unterhalten sie jetzt, das wird eine richtige Pantomime.
»Bitte, bitte«, flüsterte die Gräfin und fiel plötzlich überschwänglich auf die Knie.
Daniel streichelte vorsichtig ihre Haare.
»Liebe Pawlina Anikitischna, wir müssen die Verfolger auf eine falsche Fährte locken. Um uns braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Für Dmitri und mich interessiert sich niemand. Wenn sie uns einholen, sehen sie, dass man sie an der Nase herumgeführt hat, und lassen uns laufen. Was sollen sie mit einem Greis und einem Kind? Wenn Ihr aber in Eurem Schlitten mit dem Jungen fahrt, dann holen sie Euch auf Garantie ein und entführen Euch. Und was für ein Los wartet dann auf Euch und auf den armen Kleinen?«
Die letzten Worte sagte dieser Chrysostomus mit besonderem Nachdruck und blinzelte dabei Mitja zu, was bedeutete: Na, wie gefällt dir das mit dem »Kleinen«?
Die Chawronskaja erhob sich langsam.
»Ihr habt Recht, gnädiger Herr . . . Aber versprecht mir, dass Ihr den kleinen Mitja nach Moskau bringt, mir ist dieses Dummerchen so ans Herz gewachsen!« Und sie fügte leise hinzu: »Und auch auf Euch, Daniel Ilarionowitsch, werde ich warten . . .«
Sie fuhren ganz offen von dem Gasthof los. Mitja saß neben dem Kutscher auf dem Bock, Daniel war ans Fenster gelehnt, hatte sein Gesicht verdeckt und fächelte sich mit einem weißen Tuch Luft zu, als wäre es stickig, obwohl es gegen Abend fror. Auf der Freitreppe standen zwei Diener des Gasthofs und glotzten. Wenn die Verfolger angaloppiert kämen, würden sie sagen: Die gesuchte Person ist mit ihrem kleinen Kosaken Richtung Moskau abgefahren. Die echte Frau Chawronskaja entwischte währenddessen durch die Hintertür, ohne von jemand gesehen zu werden.
Dann stieg Mitja in den Schlitten um. Sie rasten über den Schnee und ließen die alte Stadt Nowgorod unter dem gelben Mond frieren und auf die Morgendämmerung warten.
Vondorin war nicht wiederzuerkennen. Er schlief zwar nicht, kriegte aber den Mund nicht auf und antwortete auf Fragen, selbst auf die verführerischsten, wie zum Beispiel nach der Fauna auf dem Mond oder der chemischen Zusammensetzung des Äthers, nur mit einem Brummen.
Als Mitja die Hoffnung verloren hatte, ihn zu einem wissenschaftlichen Gespräch zu bewegen, und einnickte, brach es auf einmal aus Daniel heraus.
»Das
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