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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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besonders empfindlich, obwohl mir klar ist, dass es sich aus medizinischer Sicht nicht um Ungeheuer handelt, sondern um kranke Menschen. Mit einem kurzen Schlag habe ich eine menschenfreundliche chirurgische Operation vorgenommen und diesem Herrn geholfen, sich von seinen Fleischesgelüsten zu befreien und in die Reihen der zivilisierten Welt zurückzukehren. Und diese Operation ist schmerzfrei verlaufen, denn, wie du ja gesehen hast, war dein Feind dabei bewusstlos.«
    Im Flur fügte er hinzu:
    »Mein Freund, lass dir dieses dreiste Vorkommnis nicht zu nahe gehen. Es gibt viel Finsteres auf der Welt, aber es gibt auch nicht wenig Lichtes. Und noch eins. Lass uns Pawlina Anikitischna nicht von diesem kleinen Vorfall erzählen, sie hat ein zu weiches Herz. Einverstanden?«
    »Einverstanden!«
    »Aber du zitterst ja. Frierst du denn so? Du hast doch eine Mütze an und die Pekesche.«
    Mitja zitterte nicht vor Kälte, sondern von der Angst, die er durchgemacht hatte; aber wie soll man das einem Menschen erklären, der, obwohl grauhaarig, trotzdem nie die Bedeutung dieses Wortes kennen gelernt hat? Das musste toll sein: auf der Welt zu leben und vor nichts Angst zu haben! Nichts und gar nichts! Ob man das lernen konnte oder ob das ein Geschenk der Natur war?
    »Von deinem Alter her bist du ein Löwenjunges, aber dem Verstand und dem Herzen nach bist du ein richtiger Löwe«, sagte Daniel. »Wenn du nicht mit den Fäusten gehämmert und gebrüllt hättest, hätte ich diesem listigen Wahnsinnigen geglaubt und ihn ziehen lassen.«
    Ich soll kühn, ich soll ein Löwe sein? Mitja hörte auf zu zittern und dachte darüber nach, wie groß der Unterschied ist zwischen der Tatsache, wie du in Wirklichkeit bist und wie du auf die Leute wirkst. Der wollüstige Beamte Sisow hatte ihn als »Teufelchen« bezeichnet. Warum? Was hatte seine kranke Phantasie in dem siebenjährigen Knaben gesehen? Wie interessant es sein musste, das Hirn eines Menschen studieren zu können, der geistig umnachtet ist!
    »Darf ich fragen«, unterbrach Vondorin seine Gedanken, »warum du mit Frau Chawronskaja so merkwürdig redest? Das muss doch einen besonderen Grund haben?«
    Mitja schwankte, ob er die ganze Wahrheit erzählen sollte, von dem hinterlistigen Italiener, von dem Gift, von seinem Leben im Paradies und der Vertreibung?
    »Du zweifelst? Dann schweig lieber. Ich sehe, es gibt hier irgendein Geheimnis. Du musst es nicht preisgeben nur aus Dank. Daniel Vondorin ist wissbegierig, aber nicht neugierig. Lass uns lieber entscheiden, wie wir die uns anvertraute Dame vor diesen Haien schützen können. Einmal hast du sie schon gerettet«, fügte er hinzu und schob damit großzügig den ganzen Verdienst Mitja zu, »lass uns diese Angelegenheit zu einem guten Ende bringen. Sie werden Pawlina Anikitischna nicht in Ruhe lassen, so viel ist sicher. Der Weg nach Moskau ist noch lang und führt an vielen einsamen Stellen vorbei. Ich habe das in Gegenwart der Gräfin nicht gesagt, aber zufällige Weggenossen werden sie kaum vor den Verfolgern beschützen.«
    »Das stimmt, Pikin hat keine Angst vor Zeugen.« Mitja blickte auf die Tür, die nach draußen ging. »Vor allem müssen wir so schnell wie möglich aufbrechen. Habt Ihr gehört, dass diesem Operierten die Polizei der Stadt untersteht? Wenn er das Bewusstsein wiedererlangt, wird er seine Wut an uns auslassen wollen.«
    Vondorin seufzte und sagte:
    »Armes Russland! Warum vertraut man hier den Schutz des Gesetzes nie den Lämmern, sondern immer den wilden Wölfen an? Aber diesen Mann brauchst du nicht zu fürchten. Wenn er von dem Schlag zu sich kommt, wird er Grund genug zum Nachdenken haben und eine Beschäftigung finden.«
    ». . . Und deshalb sind Mitja und ich zu dem Schluss gekommen, dass wir uns besser trennen.«
    So schloss Daniel seine an Pawlina gerichtete kurze, äußerst überzeugende Rede. Dmitri hätte er allerdings besser außen vor gelassen. Die Chawronskaja fasste das als Witz auf, der den finsteren Sinn des Gesagten ein wenig aufhellen sollte, und lächelte einen Moment.
    »Ihr verlasst uns also, Ihr guter Geist?«, fragte sie traurig und beeilte sich hinzuzufügen: »Nicht, dass ich murre oder das verurteile. Ich habe Euch sowieso schon einer zu großen Gefahr ausgesetzt. Ich danke Euch für alles, Daniel Ilarionowitsch. Mitja und ich haben eine Kutsche und einen Kutscher. Wir schaffen das schon alleine nach Moskau. Gott ist gnädig, er lässt die Schwachen nicht im Stich.«
    Vondorin biss

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