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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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eingerichtet, dass jedes Jahr eine gewisse Anzahl kühner Jungen ohne Sitzfleisch auf die Welt kommen, die nur Unruhe in das friedliche Leben bringen. Je älter sie werden, desto flegelhafter benehmen sie sich, sind gewalttätig und schlagen ihr Weib; manche werden sogar zu Dieben und Räubern. Diese Feinde eines ruhigen Lebens sind für das Heer geeignet. Man muss solche Kämpfer für ihren gefährlichen Dienst großzügig honorieren: mit Geld, Ehre und schmucker Kleidung; auf diese Weise hat man die beste Armee der Welt. Man braucht ja gar kein so großes Heer, weil ein Einziger deiner Soldaten zehn dieser feindlichen Möchtegernkämpfer schlägt.«
    Daniel zeigte auf die verheulten Rekruten und verzog mitfühlend das Gesicht.
    Da kam der Truppenführer, und das interessante Gespräch riss zwangsläufig ab.
    »Gnädiger Herr«, wandte sich der Offizier an Vondorin und druckste herum, »habt Ihr nicht vielleicht in Eurer Kutsche irgendein Getränk auf Vorrat? Es ist so kalt bei dem Frost. Da holt man sich schnell eine Erkältung.«
    »Aber sicher«, antwortete Daniel höflich. »Nicht in der Kutsche, sondern gleich hier in meiner Tasche. Rum für medizinische Zwecke, das wichtigste Mittel gegen Erkältungen.«
    Und er zog eine flache Kupferflasche aus der Hosentasche.
    »Wie schön«, sagte der Oberleutnant strahlend. »Besser als Rum ist nur Wacholderwodka! Erlaubt Ihr?«
    Er streckte seine Hand nach der Flasche aus, aber Vondorin träufelte ihm etwas in den Deckel: einen Schluck.
    »Von mehr rate ich ab. Ihr seid ja im Dienst.«
    Der Offizier kippte den Deckelinhalt hinunter und hielt ihn hin, um Nachschub zu bekommen.
    »Sagt einmal, Herr Oberleutnant, was ist das für eine ungewöhnliche Uniform? Ich dachte, Locken, Haarpuder, Gamaschen und enger Kaftan sind in der russischen Armee seit langem abgeschafft?«
    »In der russischen Armee ja, aber in unserer, der von Gatschina, gelten die Regeln der Vorschrift König Friedrichs des Großen. Wenn ein Knopf offen steht, gibt es zwanzig Stockschläge. Sogar für die Offiziere. Wenn du zu wenig gepudert bist, gibt es eine Ohrfeige. Und wenn du Puder auf den Kragen verkippt hast, ist das noch schlimmer, und du kommst in die Hauptwache. Seine Majestät der Thronfolger ist da streng.«
    »Ach, aus Gatschina seid Ihr . . .« Vondorin zog die Worte in die Länge und blickte Mitja vielsagend an.
    »Genau. Wir haben den Befehl, in den Statthalterschaften des Nowgoroder und Twerer Gebiets ein neues Bataillon aufzustellen. Wir sind jetzt viele, eine ganze Armee!« Der Offizier bekam doch den Nachschub, trank und streckte wieder die Hand aus. »Wenn in Petersburg etwas passiert . . . Ihr versteht doch?« Er zwinkerte ihm zu. »Drei Stunden strammer Marsch, und wir sind am Winterpalais.«
    »Drei Stunden? In diesen engen Hosen und den geknöpften Halbstiefeln? Unwahrscheinlich«, schnitt Daniel ihm das Wort ab und nahm den Deckel an sich. »Alles Gute, mein gnädiger Herr.«
    »Ich habe von den Regeln in Gatschina gehört«, sagte er, nur an Mitja gerichtet. »Der Thronfolger hat da ein kleines deutsches Fürstentum. Die Häuser für die Bauern sind ganz toll, aus Stein, sie stehen in Reih und Glied. Die Bauern sind sauber gekleidet, nach europäischer Mode. Die Hausfrauen haben alle denselben Satz Töpfe und Pfannen, Seine Majestät ordnet selber an, welche. Bei einem Verstoß hagelt es Prügel. Die Untertanen sollen sich in keiner Weise voneinander unterscheiden, davon träumt der Thronfolger.«
    »Genau«, bestätigte der Oberleutnant. Er war überhaupt nicht böse auf Vondorin und spekulierte offenbar auf noch eine Portion des Mittels gegen Erkältungen. »Da steh ich vor kurzem auf der Wachparade. Alles in der Kompanie ist paletti: die Stiefelspitzen möglichst dicht beieinander, der Schnurrbart guckt bei allen Soldaten in die gleiche Richtung, auch die Augen glotzen bei allen gleich. Aber Seine Majestät, sehe ich, blickt finster, ist unzufrieden. Er hockt sich hin und lässt den Kopf hin- und herbaumeln. › Was ist das denn? ‹ Und er zeigt auf die Mitte, wo sich die enge Hose vorne wölbt. Ich melde: › Das sind die Schamglieder der Kompanie, Eure Majestät der Kaiser! ‹ Da sagt er: › Das seh ich auch, dass es die Schamglieder sind, du Idiot! Warum zeigen sie in verschiedene Richtungen, bei den einen nach rechts, bei den anderen nach links? Sie sollen bei allen nach rechts zeigen! ‹ So ist das also bei uns in Gatschina. Hm! Darf ich vielleicht noch ein bisschen

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