Der Favorit der Zarin
Abenteuerspiele gehen?«
Nicki lächelte und versprach:
»Ja, mach ich. Und nicht nur das. Wenn du möchtest, erfinden wir beide sogar neue Spiele. Das macht noch mehr Spaß.«
Das Mädchen quietschte vor Vergnügen, hüpfte in die Höhe und drückte Fandorin mit der Treffsicherheit eines dressierten Delfins einen Kuss mitten auf die Wange.
Es sah so aus, als gestalte sich der Kontakt mit der Schülerin zu seiner Zufriedenheit.
Aus dem »Kinderzimmer«, wie Nicki Miras Zimmer nannte, brachte man den Gouverneur zum Verwalter des Gutshofes, zu dem gemütlichen Schnurrbartträger Pawel Lukjanowitsch mit seinem weißrussischen Akzent und den Manieren eines ehemaligen Soldaten. Dieser händigte dem neuen Bewohner von Trost die Schlüssel der »Partamenty« (der Appartements) und eine Chipkarte aus, mit der man das Tor öffnen konnte. Er warnte vor, dass auf dem »Territorium des Objekts« besondere Sicherheitsvorkehrungen zu beachten seien, denn, so sagte er: »Mirat Leni-nowitsch ist ein großer Mann, und ein großer Mann hat eben auch große Probleme.« Diese Worte unterstrich Pawel Lukjanowitsch mit einem merkwürdigen Augenzwinkern, ohne zu lächeln; das sollte wohl heißen: Ich scherze zwar, aber es ist trotzdem etwas dran.
Als Fandorin hinter dem Dienstmädchen zu seinen »Partamenty« ging, sah er aus dem Fenster, wie der Hausherr durch das Tor fuhr: vor ihm ein Jeep als Geleitschutz, hinten ebenfalls einer, und in der Limousine saß neben dem Chauffeur ein Riese, der so groß wie Nicholas, aber doppelt so breit war. Für eine Koryphäe der Chirurgie ein bisschen viele Leibgardisten, fand Nicki und fragte, auf den Goliath deutend:
»Sein persönlicher Bodyguard?«
»Nein, das ist Mirat Leninowitschs Sekretär Igor«, antwortete das Dienstmädchen, eine liebenswürdige Frau mittleren Alters namens Klawdija. »Er hat einen amerikanischen Universitätsabschluss.«
Den hat er wahrscheinlich mit einem Football-Stipendium finanziert, mutmaßte Nicholas.
Die »Partamenty« waren eine Zweizimmerwohnung, klein, aber durchaus komfortabel. Allerdings war die Aussicht aus dem Fenster nicht besonders reizvoll, die Wirtschaftsgebäude versperrten ihm den Blick.
Klawdija hängte seine Sachen in den Schrank und bat:
»Seien Sie vorsichtig mit Mira; nicht zu streng, Nikolaj Alexandrowitsch. Sie ist so nett und so sensibel. Sie hat sich hier noch nicht eingelebt. Wenn Sie wüssten, wie das ganze Dienstpersonal sie hier bedauert.«
»Warum bedauert es sie denn?«, fragte Fandorin verwundert. »Wenn alle Mädchen in solchen Verhältnissen aufwachsen würden . . .«
Dem Dienstmädchen wäre fast das Hemd aus der Hand gefallen.
»Alle Mädchen? Wie können Sie nur so etwas sagen! Das ganze Land hat sich die Augen über Miras Schicksal ausgeweint.«
Aus dem Gesicht des Gouverneurs sprach totales Unverständnis; Klawdija griff sich an den Kopf und sagte:
»Ach ja, Sie sind ja Engländer. Ihr Russisch ist so akzentfrei, dass ich das glatt vergessen habe. › Bitte melde dich! ‹ , kennen Sie diese Fernsehsendung?«
»Das ist eine Talkshow, oder? Nein, ich gucke fast kein Fernsehen, nur die Nachrichten vom Kanal Sechs.«
»Und Zeitung lesen Sie auch nicht? Über Mira haben der › Moskauer Komsomolze ‹ , › Fakten und Argumente ‹ und › Lunte ‹ berichtet, im Grunde genommen haben sich alle Blätter zu diesem Fall geäußert.«
Nicki zuckte mit den Achseln.
»Ich lese diese Blätter nicht. Nur die › Times ‹ .« Und dann hellte sich sein Gesicht auf, und er erinnerte sich auf einmal: »Doch, manchmal auch die Wochenzeitung › Eross ‹ .«
»Dann braucht man sich nicht zu wundern«, sagte Klawdija und wandte sich ab.
Nicholas hatte sich in ihren Augen vermutlich heillos kompromittiert. Sie beendete schnell ihre Arbeit und ging aus dem Zimmer, wobei sie es sogar unterließ, sich zu verabschieden.
Fandorin ließ das kalt. Er hatte jetzt etwas Besseres zu tun, als auf die scheinheiligen Vorurteile des Dienstpersonals Rücksicht zu nehmen.
Er stellte sich ans Fenster und versuchte, sich zu sammeln.
Die Eintrittskarte zur Hölle hatte er also bekommen. Dass dieser Ort eher wie das Paradies aussah, machte die Sache noch schlimmer. Er war also als Spitzel des Satans hierher bestellt. Man hatte Nicholas keinerlei Instruktionen gegeben oder Aufgaben übertragen – er sollte nur die Stelle eines Gouverneurs antreten, das war alles. Aber man hatte ihm nicht zufällig ein Telefon in die Hand gedrückt. Es würde
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