Der Favorit der Zarin
Menschenhand geschaffene Schönheit. Und ich habe die Reklame gesehen: wie Aschenbrödel von einer Fee mit einem Zauberstab berührt wird und der Schmutzfink sich in ein bildschönes Weib verwandelt.«
»Sie brauchen gar nicht zu lächeln«, sagte Inga Sergejewna streng. »Das ist keine Übertreibung, sondern die lautere Wahrheit. Mirat ist ein richtiger Zauberer. Ein hässliches Entlein verwandelt er in eine attraktive Frau mit Charme, und ein gewöhnliches Gesicht, sagen wir: guter Durchschnitt, wird bei ihm ein echtes Kunstwerk. Er ist einfach ein begnadeter Chirurg!«
Nachsichtig lächeln durfte er also nicht. Nicholas beeilte sich, seinen Fauxpas wettzumachen, und sagte:
»Mir ist aufgefallen, was er für schlanke, schöne Finger hat.« Die wunderschönen Augen der Frau verschleierten sich, und ihre Stimme klang verträumt:
»Ach, Sie können sich gar nicht vorstellen, was für geniale Hände er hat! Manchmal sind sie kräftig, ja brutal, und manchmal sind sie so zärtlich! Wissen Sie, wie sehr die Pflanzen Mirat lieben? Sie spüren die lebensspendende Energie. Wir haben in unserem Wintergarten fürchterlich kapriziöse Blumen. Wenn unser Dienstmädchen sie begießt, drohen sie zu vertrocknen. Bei Mirat dagegen blühen sie auf wie im Dschungel. Auch die Tiere fühlen sich zu ihm hingezogen, Hunde, Katzen, Pferde. Auch sie spüren diese genuine Kraft, die aus seinem Inneren kommt!«
Nicholas war sprachlos von dieser offenen Zurschaustellung ehelicher Vergötterung. Er fühlte sich immer elender.
Herrgott, wozu brauchte dieses grässliche Weib namens Jeanne, genauer: ihr geheimnisvoller Auftraggeber, diesen Doktor?
Die letzte Hoffnung war die Tochter, diese neurussische Infantin, die der schnelle Reichtum bestimmt verdorben hatte und die außerdem auch noch stockdumm sein musste, wenn sie trotz aller Nachhilfelehrer mit achtzehn immer noch keinen Schulabschluss hatte.
Die Frau führte Fandorin durch eine Zimmerflucht, deren aufwendige Modernisierung sich merkwürdig mit den antiken Möbeln und dem an manchen Stellen erhaltenen Stuck vertrug, zu ihrer Stieftochter und erzählte unterwegs die Geschichte des Gutshofes. Offenbar hatte ihn jemand aus der Umgebung von Kaiser Pawel erbaut oder umgebaut; Nicholas hörte nur mit halbem Ohr zu, weil er sich auf das Treffen mit der Schülerin vorbereitete: Er zwang sich dazu, sich keinerlei Nervosität anmerken zu lassen und ein Maximum an Geduld aufzubringen. Das Wichtigste war, gleich den richtigen Ton zu treffen, damit der Unterricht für ihn nicht zu einer erniedrigenden Folter ausartete.
Das Zimmer der Prinzessin war im ersten Stock. Aus dem riesigen halbrunden Fenster hatte man eine herrliche Aussicht auf ein Feld, den Wald und den Fluss; aber Nicholas hatte keinen Sinn für die Schönheit der Natur. Er inspizierte schnell das geräumige Zimmer, das man eher einen richtigen Saal nennen musste, zumal es darin weiße Säulen und eine kleine, an der Wand entlanggeführte Galerie gab. Die Schlossherrin war offenbar ausgeflogen, aber die überall herumliegenden Kleider und die durch Abwesenheit glänzenden Bücherregale sowie der ins Auge stechende Supercomputer, dessen überdimensionaler Bildschirm das primitive Spiel Schiffeversenken festhielt, bestätigten Nickis Vermutungen über das intellektuelle Niveau der jungen Kuzenko durchaus.
»Mira, schläfst du?«, fragte die Frau, während sie auf den mit einem Vorhang verhängten Alkoven zuging.
»Nein, Inga Sergejewna«, hörte man ein von oben, gleichsam vom Himmel kommendes helles, klares Stimmchen. »Ich bin hier.«
Nicholas drehte sich um, hob den Kopf und sah über der Balustrade einen wahren Engel: ein feines Gesicht, eingerahmt von flachsblondem, fast weißem Haar, weit aufgerissene blaue Augen, magere bloße Schultern mit Trägern von einem BH oder einem Unterhemd.
»Warum sitzt du da? Warum bist du nicht angezogen?«
»Ich habe das Kleid ausgezogen, damit es nicht dreckig wird. Hier ist entsetzlich viel Staub. Niemand macht hier sauber; ich habe beschlossen, Staub zu wischen«, sagte die Nymphe, die sich hinter dem Geländer versteckte und Nicholas musterte. »Und hingesetzt habe ich mich, weil ich nichts anhabe. Ich schäme mich. Sie sind ja schließlich nicht allein . . .«
Endlich erfasste Nicholas die Lage und wandte sich irritiert ab.
»Ich komme hoch und bringe dir dein Kleid und die Schuhe. Sir Nicholas guckt weg. Apropos, darf ich vorstellen? Das ist der Herr, der deine Erziehung in die Hand
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