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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Alexandrowitsch, Ihr Gepäck ist fertig. Mira und die Bodyguards warten schon im Keller auf Sie. Haben Sie vielen Dank.«
    Kuzenko reichte Fandorin die Hand, drückte fest zu und legte auch noch schützend seine Linke darüber.
    »Viel Glück!«
    Sie gingen folgendermaßen durch den unterirdischen Gang: vorne der Bodyguard, dann Nicholas mit dem Mädchen, dann der zweite Bodyguard. Der Tunnel war aus Beton, mit schummerigen Glühbirnen unter der Decke, was nichts Romantisches hatte. Im Gegenteil: ein Ding der Notwendigkeit für einen Oligarchen, das hatte Pawel Lukjanowitsch goldrichtig gemacht!
    Mit ihrer Jeans-Latzhose, der Jacke und dem Bandana-Tuch, das sie um den Kopf gebunden hatte, sah Mira wie ein kleines Kind aus. Sie war ganz verschreckt und eingeschüchtert und schmiegte sich an Fandorin, der seinen Arm um ihre knochige Schulter legte.
    So gingen sie zweihundert oder vielleicht dreihundert Meter und gelangten zu einer niedrigen Metalltür mit einem Griff, der die Form eines Steuers hatte.
    Der erste Bodyguard drehte an dem Rad und blickte ins Dunkel. Er wartete einen Augenblick, spitzte die Ohren und machte ihnen ein Zeichen, sie könnten weitergehen.
    Auch wenn das elektrische Licht noch so schwach war, ganz ohne kam Nicholas die Nacht unglaublich schwarz vor – kein Schimmer weit und breit, kein einziger Stern am Himmel.
    Es roch nach kaltem Wasser, trockenen Kräutern und Staub.
    »Ich mache die Taschenlampe nicht an«, flüsterte der Bodyguard. »Wir gehen zur Anlegestelle, sobald die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Schließt die Tür, sonst dringt das Licht nach außen!«
    Ein metallisches Scheppern war zu hören. Nicholas schaute sich um, er konnte keine Tür sehen – er sah im Dunkeln nur einen Steilhang mit Rasen. Der Tunnelausgang war perfekt getarnt.
    »Sascha, geh als Ers . . .«, setzte der Bodyguard zu sprechen an, aber in der Finsternis klickte etwas, und er krächzte.
    Sein Kopf zuckte wie wild zurück und zog den Körper mit, der auf den Ufersand fiel.
    In derselben Sekunde klickte es noch einmal, und der zweite Bodyguard stürzte zu Boden.
    Nicholas kroch auf allen vieren vorwärts, hob den Kopf des Jungen an und schrie:
    »Sascha! Was ist mit Ihnen?«
    Aber Sascha regte sich nicht, aus seinem Mund strömte glucksend das Blut, genauso wie damals bei dem Hauptmann Wolf.
    Mira stieß einen verzweifelten Schrei aus, schluckte ihn aber sofort hinunter, denn auf einmal flammte ein gleißender Lichtstrahl von beiden Seiten auf.
    Der erstarrte Nicholas sah im grellen elektrischen Licht eine Frauengestalt mit einem langen Rohr in der Hand.
    »Prima, Nicki«, erklang eine ruhige, spöttische Stimme. »Hast artig gemacht, was du solltest. Das Mädchen aufs Boot, und zwar ohne Lärm. Das könnte jemand hören. Die beiden hier, in den Tunnel.«
    »Du Schwein!«, schrie Mira. »Du Scheißkerl! Du Verrä . . .«
    Aber der Schrei erstickte – sie hatten ihr einen Knebel in den Mund gesteckt und schleppten sie weg.
    Jeanne kam langsam auf ihn zu. Das schwarze Rohr in ihrer Hand wackelte.
    »Wie leicht sich deine Reaktionen doch Voraussagen lassen, Nicki. Ach so, dein Herz ausschütten, das wolltest du? Wie gut ich doch den Ball zugespielt habe, toll, oder? Der Volltreffer, der geht dann auf Lukjanowitschs Konto. Da hat er ja auch ordentlich Kohle für gekriegt.«
    Fandorin wollte sich erheben, um dem Tod im Stehen zu begegnen, ließ es aber. War das nicht egal? Einem solchen Idioten wie ihm geschähe es recht, wenn er auf allen vieren krepierte.
    »Was klapperst du mit den Augen?«, rief Jeanne und brüllte vor Lachen. »Dachtest du, du würdest sterben? Nein, noch ist es nicht so weit. Ich brauche Sie noch, Nikolaj Alexandrowitsch. Sie haben immer noch Schulden bei mir. Das Interessanteste kommt morgen. Entweder der Kurze kuscht, oder sein Töchterchen kommt auf den Friedhof.«
    Nicholas öffnete die Augen, ohne irgendwelche Erleichterung darüber zu verspüren, dass der Tod aufgeschoben war.
    Alles war zusammengebrochen. Er hatte alles verloren, was man verlieren kann. Er hatte Miranda ins Unglück gestürzt, ohne die Gewissheit zu haben, seine eigene Familie retten zu können. Miranda mit Sicherheit nicht. . . Ob der Kurze kuschte oder nicht, war völlig egal. . .
    In seinem von dem Schock und dem Cognac benommenen Kopf drehten sich unzusammenhängende, schwerfällige Gedanken. Auf den Friedhof. Morgen. Begraben. Let four captains bear Hamlet, like a soldier . . .
    Und dann? Wer bin ich

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