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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Dann war es also kein Traum, dass der Wind ihm die Haare weggeblasen hatte?
    »Daniel!«, rief er mit einem so dünnen Stimmchen, dass er sich selber Leid tat.
    Vondorin fuhr auf und blinzelte verschlafen.
    »Du bist wieder bei Bewusstsein!«, rief er. »Ich wusste es doch! Die Krise ist vorüber! Die ganze Nacht hast du dich geschüttelt, erst gegen Morgen hat es aufgehört. Ich habe gewartet und gewartet, dass du die Augen öffnest, und bin dabei selber eingenickt. Lass dich mal ansehen.« Er stand auf und setzte sich neben ihn. »Der Blick ist klar, die Lippen sind nicht entzündet. Das Fieber ist vorbei. Jetzt geht es bergauf.«
    »Wo sind meine Haare?«
    »Abrasiert. Die medizinische Wissenschaft geht davon aus, dass bei einer Schwächung des körperlichen Mechanismus die Kraft durch die Haare abgezogen wird und das Fieber steigt; deshalb schneidet man den Kranken die Haare ab. Und du siehst ja außerdem, dass du es hier nicht mit Zarengemächern zu tun hast. Warum Parasiten anlocken?«
    »Und warum seid Ihr so merkwürdig gekleidet? Ihr habt doch nicht etwa vor, zurück in den Wald zu gehen, oder?«
    Daniel griff sich an die Brust und nestelte an seiner schäbigen Kleidung herum.
    »Du musst verstehen, mein Lieber, meinen Geldbeutel habe ich in Sonnenstadt gelassen. Wir wohnen in dieser Absteige hier ja schon eine Woche. Alles, was ich hatte, habe ich verkauft. Die Uhr aus der Werkstatt des berühmten Breguet habe ich gegen Arzneien eingetauscht: Bärenspeck, Lindenwachs, Kräuter. Für die Stiefel hat man uns diesen bescheidenen Raum überlassen. Gehrock und Weste haben uns Brennholz eingebracht, um den Ofen zu heizen. Von meiner alten Kleidung ist nur noch die Hose da.«
    »Und wie sollen wir jetzt nach Moskau kommen?«, stellte Mitja dieselbe Frage wie zu Beginn seiner Krankheit.
    »Du brauchst noch ein bis zwei Tage Bettruhe, das bestreiten wir aus dem Verkauf meiner Hose. Dann müssen wir an die Reserven gehen.« Er deutete auf einen Haken an der Wand, wo Mitjas Festkleidung hing. »Wir tauschen das gegen irgendwelche Pelzmäntel, Filzstiefel, eine Mütze oder ein flauschiges Tuch für dich, und für den Rest kaufen wir Lebensmittel. Wir brauchen ungefähr vier Tage, weiter ist es nicht.«
    Sie brauchten nicht vier Tage bis Moskau, sondern ganze sechs. Mitja war einfach viel zu schwach. Er schaffte ein oder zwei Werst, mehr war nicht drin. Dann musste ihn Daniel auf den Arm nehmen.
    Diese Verzögerung führte bei den Wanderern zur totalen Mittellosigkeit. Bei der letzten Übernachtung im Dorf Tuschino mussten sie für das Nachtquartier und die Kohlsuppe Mitjas Pelzmantel hergeben.
    Deshalb zogen sie in die Hauptstadt Moskau wie ein Kentaur ein, vor dem die Entgegenkommenden erschraken, ja sich bekreuzigten. Mitja saß oben auf Daniels Schultern, wobei er die Arme in die Ärmel des riesigen Pelzmantels gesteckt hatte. Die Ärmel baumelten herunter, während die Rockschöße kaum Vondorins Lenden bedeckten. Anfangs war der Pelzmantel vorne aufgeknöpft, damit Daniel den Weg sehen konnte, aber dann mussten sie ihn zumachen, weil dem Reiter sonst zu kalt war. Dadurch verlangsamte sich ihr Tempo beträchtlich, denn das fabelhafte Pferd konnte nun nicht sehen, wo es den Fuß hinsetzte. Wenn eine Furche oder ein Schlagloch kamen, warnte Mitja vorher.
    Gut, dass der Weg zum Haus des Fürsten David Petrowitsch Dolgoruki, des Onkels von Pawlina Anikitischna, nicht schwer zu finden war und man sich nicht verirren konnte: vom Twerer Tor immer geradeaus bis zum Passionskloster und dann links, die frühere Mauer von Belgorod entlang, wo der Heumarkt ist.
    Trotz aller Schwierigkeiten waren sie endlich am Ziel und hielten vor dem fein verzierten schmiedeeisernen Gitter. Da standen sie nun vor dem Haus mit den ionischen Säulen und dem über der Treppe thronenden, schlummernden steinernen Löwen. Irgendwo da drinnen trank Pawlina Tee oder musizierte vielleicht. Aber wie sooft im Leben sollte das Nächste das Fernste sein.
    Sie gingen zum Tor. Nichts zu machen. Der Pförtner fuchtelte abwehrend mit den Armen; er wollte von diesen Bettlern nichts hören.
    Vondorin fragte:
    »Sind ehrwürdige Erlaucht Pawlina Anikitischna zu Hause?«
    Als Antwort kam nur ein Fluch.
    Da sagte Mithridates:
    »Sagt Pawlina Anikitischna, Mitja und Daniel Ilarionowitsch sind da. Sie wird erfreut sein.«
    »Na, das ist sicher wie das Amen in der Kirche«, antwortete der Verfluchte und bog sich vor Lachen. »Solche Gäste hat sie gern. Sie wird euch

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