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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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fürchte er, ich ziehe sie weg. Da habe ich gedacht: Warum eigentlich nicht? Er liebt mich jetzt schon so lange! Mir fällt davon kein Zacken aus der Krone, und er hat hinterher etwas, woran er sich erinnern kann. Und ich ging mit zu ihm. Er hatte eine Wohnung, kein Vergleich mit der ehemaligen Wohnung meines Mannes auf dem Kutusow Prospekt. Zweistöckig, mit Parkett, einem Kamin. Für mich war das ein Palast. Wir setzten uns aufs Sofa und küssten uns. Er zitterte einfach vor Glück, wie wohl mir das tat! Aber als er mir den BH aufknöpfen wollte, hielt er plötzlich inne und starrte auf meinen Hals. › Was hast du da? Hast du das schon lange ? ‹ Ich hatte da einen Leberfleck. Ich wunderte mich und sagte: › Seit zehn Jahren vielleicht, na und? ‹ Er verlor auf einmal das Interesse an dem BH und besah sich meine anderen Leberflecke: unter dem Ohr und an der Schläfe. › Weißt du was, Inga. Wir fahren in die Klinik. Das gefällt mir nicht. ‹ Können Sie sich das vorstellen? Er hatte so viele Jahre von diesem Augenblick geträumt, und nun auf einmal: › Wir fahren in die Klinik. ‹ . . . Gießen Sie mir doch bitte noch etwas ein. Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke . . . Kurz, es begann ein Albtraum: Untersuchungen, Ultraschall, Röntgenbilder. Und dann der Zeitdruck, es war fast zu spät. Sie können sich nicht vorstellen, was ich da mitgemacht habe! Wenn Mirat nicht gewesen wäre, wäre ich bestimmt durchgedreht. Er stand mir die ganze Zeit zur Seite, verzichtete auf Zärtlichkeiten und forderte nichts für sich. Er wollte mich zuerst nach Österreich zur Operation schicken. Das Geld dafür, nach den damaligen Vorstellungen Unsummen, hatte er schon zusammen. Dann sagte er: › Nein, ich lass dich nicht dahin. Die schaffen es vielleicht, dich zu retten. Aber sie werden dein Gesicht entstellen. Ich schneide lieber selber. Und mache auch die Flickarbeit hinterher. Ich habe eine neue Methode, die revolutionär ist. ‹ Er war damals allgemeiner Chirurg, hatte aber schon vor, sich auf Schönheitschirurgie zu spezialisieren. Ich glaubte ihm wie einem Gott. Entschieden mehr als irgendwelchen dahergelaufenen Österreichern . . . Und ich sollte Recht behalten. Er hat mich gerettet -man kann sagen: aus dem Jenseits. Er hat mir das ganze Gesicht zerschnitten, die Lymphknoten entfernt, die Eierstöcke herausgenommen – das nennt man hormonelle Prophylaxe. Aber er hat mich gerettet. Und die ganze Zeit, als ich ohne Gesicht leben musste, endlose fünf Monate, war er an meiner Seite. Und er liebte mich, nicht weniger als in der Zeit, wo ich eine Schönheit war. Wenn Sie es genau wissen wollen, die damalige Zeit, das war der Anfang unserer Beziehung. Und zwar, was mich betraf, diesmal ohne jede Herablassung, sondern mit Dankbarkeit, mit Leidenschaft, mit Liebe. Damals habe ich begriffen, was echte Liebe eigentlich ist. Und dafür bin ich Mirat am meisten dankbar, noch mehr als für das Leben, das er mir gerettet, oder für die Schönheit, die er wiederhergestellt hat. Was heißt hier: wiederhergestellt? Nachdem er seine Methode an mir ausprobiert hatte, war ich schöner als in meiner Jugend. Hier, schauen Sie selbst!«
    Inga nahm ein gerahmtes Foto vom Schreibtisch. Es war alt, schwarz-weiß. Die Schuluniform deutete darauf, dass es sich um den vergrößerten Ausschnitt eines Klassenfotos handelte.
    Eine so überragende Schönheit war die Abiturientin Konjuchowa gar nicht gewesen. Ein ganz gewöhnliches Mädchengesicht. Allerdings nicht das einer Puppe wie jetzt, sondern ein lebendiges Gesicht.
    Der Hausherr kam herein, als Nicki gerade das Gesicht studierte.
    »Na«, sagte er, »habt ihr Erinnerungen gewälzt?«
    Er nahm Inga das nicht geleerte Glas ab.
    »Komm, meine Liebe, komm. Trink jetzt nicht mehr. Und zu weinen brauchst du auch nicht.« Er beugte sich zu ihr herunter und wischte mit den Lippen eine Träne weg. »Wir müssen los.«
    Sie schluchzte auf, küsste ihm die Hand, und Fandorin dachte traurig: Was für eine starke, lange Liebe, und doch – auch sie hatte ein Ende. Erst hatte er sie geliebt, jahrein, jahraus, ohne Hoffnung darauf, dass sie ihn erhörte. Nun liebte sie ihn, und ihre Liebe war ebenfalls einseitig. Offenbar gehörte Kuzenko zu den Leuten, die das Interesse verlieren, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Konnte Mirat Leninowitsch denn etwas dafür, dass er so gebaut war? Äußerlich war sein Verhalten makellos, das war schließlich auch etwas wert.
    »Nikolaj

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