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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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noch mit Kaffee und Kakao bewirten. Los, weg hier! Stellt euch dahin, wo alle stehen, und wartet, bis ihr dran seid.«
    Und an der Seite stand eine ganze Schar solcher Bettler. Sie waren dicht zusammengerückt und stampften mit den Füßen vor Kälte. Einer schrie:
    »Habt ihr es nun endlich kapiert? Eine Unverschämtheit, sich so zum Tor vorzudrängen!«
    Ein anderer hatte Mitleid mit ihnen:
    »Kommt her. Die Gnädigste kommt bald. Sie ist gütig und gibt jedem etwas.«
    Vondorin lächelte bitter und sagte:
    »Siehst du, mein Freund, man erwartet uns hier nicht. Die Frauen sind zartbesaitete Wesen, aber sie haben ein kurzes Gedächtnis. Je früher du das verstehst, desto weniger wirst du später zu leiden haben. Komm, wir gehen.«
    »Nein, Daniel, lass uns warten!«, flehte Mitja. »Vielleicht kommt sie wirklich jeden Augenblick!«
    »Und gibt uns ein Almosen?«, fragte Vondorin stichelnd.
    Aber er ging nicht weg, sondern stellte sich an die Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Den verschlissenen Pelzmantel hatte er ganz Mitja überlassen. So stand er also stolz da, ohne sich ein Stück von dem Schaffell zu nehmen und sich damit zu bedecken.
    Eine halbe Stunde später öffnete sich das Tor, und eine mit Bärenfell ausgeschlagene Kutsche mit zwei Vorreitern à l’anglaise kam herausgefahren.
    Die Bettler stürzten ihr nach.
    Die Kutsche hielt an, das Fenster öffnete sich einen Spalt breit, und eine feine behandschuhte Hand gab jedem eine Münze; sie ließ niemand aus.
    »Na gut«, sagte Daniel seufzend. »Gut, dass sie wenigstens ein mitleidiges Herz hat.«
    »Lasst uns doch zu ihr gehen, los, kommt«, sagte Mithridates und nahm ihn bei der Hand.
    Puh, der war aber hartnäckig!
    Er warf den schweren Pelzmantel ab, rannte zu der Kutsche und kriegte vor Aufregung kein einziges Wort heraus, er rang nach Luft.
    »Na, wer ist denn da so ängstlich?«, hörte er die bekannte wunderbare Stimme, und im nächsten Augenblick schaute die Chawronskaja schon selbst aus dem Fenster heraus.
    »Ist denn das die Möglichkeit?«, schrie sie, als sie Mitja sah.
    »Da sind wir«, sagte Daniel, der hinzukam, mit tonloser Stimme und legte seine Hände auf Mitjas Schulter. »Ich habe mein Versprechen eingehalten. Wenn Ihr aber . . .«
    Ein gellender Schrei übertönte seine Worte:
    »Sie sind da! Heilige Maria, Mutter Gottes, sie sind da!«
    Die Gräfin stieß mit einem Ruck gegen die Tür, die sich so plötzlich öffnete, dass sie die beiden Bettler in eine Schneewehe fegte.
    Pawlina, schön wie eine Märchenfee, in einem Zobelpelz, unter dem ein silbrig glitzerndes, luftiges Kleid hervorguckte, und in Atlasschühchen, – machte einen Satz aus der Kutsche, stürzte sich mit einem Kuss auf Mitja und schlang dem sprachlosen Daniel die Arme um den Hals.
    »Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben!«, rief sie halb lachend, halb weinend. »Ich habe gebetet wie eine Verrückte, meine Knie sind ganz wund gescheuert! Da hat die Gottesmutter sich also erbarmt! Sie leben! Beide!«
    Und ohne jeden Übergang geriet sie in Wut und fauchte den Pförtner an:
    »Imbécile! Cochon! Warum stehen die hier und frieren? Ich habe es doch tausendmal gesagt!«
    Der Diener fiel auf die Knie:
    »Ehrwürdige Erlaucht! Ihr habt gesagt, ein Adeliger in einer Schlittenkutsche! Mit einem Kind, das ein Engelsgesicht hat! Das hier sind doch – wie Ihr zu sehen beliebt – abgerissene Vagabunden!«
    »Man müsste dich verhauen«, sagte Pawlina und wollte ausholen, vergaß es aber sofort und musterte Mitja:
    »Wie stark er abgemagert ist! Und so schmutzig, pfui!«
    »Wir hatten unterwegs ein kleines . . .«, wollte Vondorin erklären, aber die Gräfin schenkte ihm kein Gehör.
    »Später könnt Ihr erzählen, später. He, Philipp!«, rief sie dem Kutscher zu. »Ich gehe nicht zur Soiree von Mawra Gawrilowna, spann die Pferde wieder aus! Euch, Daniel Ilarionowitsch, wird man ins Kleiderzimmer meines Onkels führen. Sucht Euch da etwas zum Anziehen für die erste Zeit aus und nehmt ein Bad. Ihr stinkt nach Ziege. Meine Güte, wie Ihr ausseht! Dich, mein Mäuschen, nehme ich mir selber vor, das lass ich keinen anderen machen. Ja, mein Lieber? Ja, mein Kleiner? Na, ohne Mama Pascha ist es dir wohl schlecht gegangen, oder?«
    Mit Mäuschen und so weiter meinte sie natürlich nicht Daniel, sondern Mitja.
    Und obwohl er überglücklich war, sträubte sich etwas in seinem Inneren: schon wieder dieses kindische Getue.
    Aber er stammelte

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