Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
mächtig herausgeputzt: eine schwarze Weste mit Silberstickerei, eine Culotte aus Seide und hautfarbene Strümpfe.
    »Ich habe in der Garderobe nichts Einfacheres finden können«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln. »Ihr Onkel ist offenbar ein ausgemachter Modenarr.«
    Er nahm nicht da Platz, wo sie gezeigt hatte, sondern setzte sich direkt neben Pawlina und ergriff gleich ihre Hand. Er hatte die Änderung im Verhalten der Gräfin offenbar nicht bemerkt.
    »Liebe Pawlina Anikitischna! Jetzt, da ich in die Reihen der zivilisierten Menschheit zurückgekehrt bin, kann ich Euch mit meiner ganzen emotionalen Leidenschaft begrüßen, ohne Angst haben zu müssen, dass Schmutz und Gestank bei Euch Ekel erregen. Erlaubt mir vor allem, Eure prächtige Hand zu küssen!«
    Die Chawronskaja warf Mitja einen verzweifelten Blick zu, der heißen sollte: Da siehst du mal, wie Recht ich hatte!
    Sie entriss ihm die Hand und versteckte sie auf dem Rücken.
    »Ich finde den Brauch, einer Dame die Hand zu küssen, dumm und unanständig«, sagte sie streng. »Hinzu kommt bei Euch, dass Euch die Flatterhaftigkeit nicht steht und keineswegs Eurem Alter entspricht.«
    Er murmelte verwirrt:
    »Jaja, ich finde auch selber, dass der Handkuss . . .«
    »Wie gefällt Euch Moskau?«, erkundigte sich Pawlina mit einem feinen Lächeln. »Hat dieses Sündenbabel sich während Eurer Abwesenheit stark geändert? Meiner Meinung nach ähnelt Moskau weniger dem Sündenbabel als vielmehr einem Monstrum, wie es beispielsweise der Leviathan von Hobbes ist. Habt Ihr sein Buch gelesen?«
    »Ja«, antwortete Vondorin zögernd und blinzelte verblüfft. »Aber, ehrlich gesagt, ich bin kein großer Anhänger der Allegorien von Hobbes.«
    Pawlina, die sich offenbar darauf eingestellt hatte, nun eine Inhaltsangabe ihrer Lektüre folgen zu lassen, brachten diese Worte aus dem Konzept. Es entstand eine Pause.
    »Und . . . und wo ist Ihr Onkel?«, fragte Daniel nach zweiminütigem Schweigen.
    »Ich nehme an, im Klub. Er muss gleich kommen. David Petrowitsch ist bekannt dafür, dass er hervorragend Witze erzählen kann; es wird bestimmt lustiger sein, wenn er da ist.«
    Daniel runzelte die Stirn. Wieder herrschte Schweigen.
    »Ach, ich habe Euch ja gar keinen Kaffee eingeschenkt!«, sagte die Gräfin auf einmal und fuhr auf. »Hier, bitte.«
    Sie goss ein und erklärte dabei:
    »Das ist jetzt überall so üblich: Die Gastgeberin schenkt den Gästen selber Tee und Kaffee ein, à l‘anglaise. Deshalb sind auch keine Diener dabei. Ich finde diese Indiskretion nicht ganz angebracht, aber was soll‘s? Es hat sich in der Gesellschaft jetzt so eingebürgert.«
    Vondorin nickte träge, hob die Tasse zum Mund und setzte sie gleich wieder ab.
    Wieder schwiegen sie. Die Uhr auf dem Kamin tickte immer langsamer und lauter.
    »Er schmeckt Euch nicht«, sagte Pawlina niedergeschlagen. »Wahrscheinlich ist der Kaffee schon kalt. Ich lasse gleich . . .«
    Und sie verließ schnell den Raum. Mitja bemerkte, dass ihr eine Träne im Augenwinkel hing.
    »Ich alter Trottel!«, brach es aus Vondorin heraus, sobald die Gräfin hinter der Tür verschwunden war. »Da ist meine Begeisterung aber mit mir durchgegangen! »Erlaubt mir, Eure prächtige Hand zu küssen! ‹ Pfui, Spinne! Da hat sie’s mir aber gegeben: Das steht Euch nicht, und, das Wichtigste, es entspricht nicht Eurem Alter! Wer bin ich denn in ihren Augen: ein komischer Greis und sonst nichts! Wie heißt es doch so richtig: Schuster bleib bei deinen Leisten! Und hast du gemerkt, mein Freund, wie abweisend sie danach auf einmal wurde? Sie spürt es! Sie spürt es ganz genau! Die Frauen haben einen Riecher dafür. Wie peinlich, wie peinlich! Gut, dann werde ich mich also benehmen, wie es der Unterschied von Alter, Vermögen und Stand verlangt.«
    »Ich versichere Euch, Ihr irrt«, sagte Mitja, der ihn trösten wollte, »Pawlina Anikitischna ist verstimmt; sie meint, Ihr verachtet ihr Unwissen, Ihr wollt keine klugen Gespräche mit ihr führen und haltet sie nur für fähig, frivolen Umgang zu pflegen, und wenn sie dann darauf nicht eingeht, sterbt Ihr vor Langeweile.«
    Daniel winkte nur ab.
    »Was verstehst du schon von den Frauen, du sechsjähriges Kind!«
    »Ich bin fast sieben«, korrigierte Mitja, aber Vondorin hörte das nicht.
    »Dmitri, glaub einem alten, vom Leben gebeutelten Hasen! Du kannst bei den Frauen lange rationale Motive suchen, das bringt absolut nichts. Es gibt bei ihnen keine und kann sie nicht geben. Die

Weitere Kostenlose Bücher