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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Frauen funktionieren völlig anders als wir Männer . . .«
    Er hustete, statt zu Ende zu reden, weil Pawlina in den Salon zurückkam.
    »Ich habe angeordnet, sie sollen neuen Kaffee kochen«, sagte sie mit einem aufgesetzten Lächeln. »Ich hoffe, Ihr habt Euch ohne mich nicht gelangweilt.«
    »Keine Angst, nicht im Geringsten«, antwortete Daniel kurz angebunden. »Danke, aber ich trinke abends keinen Kaffee. In meinem Alter ist das zu riskant für die Magenverdauung.« Er erhob sich. »Als man mich in das Kleiderzimmer brachte, kam ich durch die Bibliothek. Kann ich mich da aufhalten und Bücher lesen, bis Ihre Erlaucht kommt? Ich bin mir sicher, dass Ihr ohne mich mehr Spaß habt.«
    »Gut«, sagte die Chawronskaja mit bekümmerter Stimme. »Ich lasse Euch rufen, wenn der Onkel kommt.«
    Vondorin verließ das Zimmer, sie brach in Tränen aus.
    »Sollte es wirklich so sein, dass auch du, mein Mäuschen, so grausam mit den armen Frauen umgehen wirst?«, fragte die Gräfin schluchzend. »Na klar, ich bin für ihn nur eine hirnlose Puppe. Wenn ich mich nicht küssen lassen will, dann ist der Umgang mit mir reine Zeitverschwendung. Kann ich mich etwa mit ihm messen? Er ist klug, überragend, ein richtiger Held. Hat den Damen ganz Europas den Kopf verdreht. Und ich? Ich tauge doch allenfalls zur Mätresse von Platon Surow!«
    Mitja versuchte, die schluchzende Pawlina vom Gegenteil zu überzeugen, aber da er sich dieser primitiven Babysprache bedienen musste, war das nicht so einfach, und außerdem hörte sie auch gar nicht zu.
    Das lang ersehnte Treffen schien ein wahres Desaster werden zu wollen.
    Gott sei Dank erschien bald der Hausherr, der Moskauer Gouverneur Fürst David Petrowitsch Dolgoruki. Humpelnd und mit dem Stock auf den Boden klopfend, kam er herein: laut, korpulent, mit braunen Glupschaugen und denselben Grübchen wie seine Nichte. Die Ellenbogen des karmesinroten Fracks Seiner Erlaucht waren mit Kreide beschmiert – offenbar hatte er auf Pump Karten gespielt oder sich im Billard geschlagen. Seine roten Lippen, die zärtlich Mitjas Stirn berührten, rochen nach Wein und Schokolade.
    Sofort holte der Diener Vondorin, und die beiden machten sich bekannt.
    Im Beisein ihres Verwandten war Pawlina Anikitischna weniger befangen.
    »Das ist mein Retter, Onkel, von dem ich dir so viel erzählt habe«, erklärte sie und lächelte Daniel mit einem schüchternen, freundlichen Lächeln zu, von dem diesem das Herz aufging.
    »Dann ist er auch mein Retter!«, rief Dolgoruki aus und beeilte sich, Daniel die Hand zu schütteln. »Denn meine liebe Pascha ist mir teurer als eine eigene Tochter, die ich nebenbei gesagt auch gar nicht habe.«
    Er lachte sanft und einnehmend, klatschte in die Hände, um Horsd’œuvres und Wein auftragen zu lassen, und dann lief alles wie von selbst – leicht, fröhlich und ohne eine Spur von Peinlichkeit.
    Als erfahrener und geselliger Mann spürte David Petrowitsch, dass die Atmosphäre ein wenig gespannt war, und damit der Gast sich wohlfühlte, erzählte er in einer Tour Moskauer Neuigkeiten. Was er sagte, war geistreich, lebendig und interessant.
    »Wir trinken im Moment alle durch die Bank alle möglichen Wässerchen und legen Wert auf Bewegung«, sagte er und unterdrückte ein Lächeln. »Habt Ihr von der Wasseranstalt des Doktors Loder gehört? Nein? In Petersburg hat man aber Kenntnis von unserer Mode. Vor zwei Tagen trafen der Leibarzt Cruise und der Admiral Kosopoulos höchstpersönlich zur Inspektion ein, und das heißt Aufmerksamkeit von höchster Stelle. Die Inspektoren haben sich allerdings gezankt, ihre Meinung war geteilt.«
    »Was ist das für eine Wasseranstalt?«, fragte Daniel interessiert. »Gegen welche Krankheiten hilft sie?«
    »Gegen alle möglichen. Herr Loder
    Christian Loder (1753-1832), 1777 Promotion zum Dr. med. in Jena, bis 1803 Professor an der Universität Jena, 1803-1806 Professor in Halle, seit 1806 in Moskau als Leibarzt des Zaren Alexander I. Verfasser folgender Werke »Anatomisches Handbuch«, Jena 1788, »Anfangsgründe der medicin. Anthropologie und gerichtlichen Arzneiwissenschaft«, Jena 1791, »Tabulae anatomicae mit lateinischem und deutschem Text«, Weimar 1803, »Elementa anatomiae humani corporis«, Moskau, Riga u. Leipzig 1822 u. a. (Anm. der Übersetzerin)
    hat auf den Sperlingsbergen eine magische Mineralquelle entdeckt, deren Wasser, wie er zuversichtlich sagt, Wunder wirkt. Besonders, wenn man es mit einem dreistündigen Spaziergang auf

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