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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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geschminkt und aufgeräumt. Sie streichelte den Kopf ihres Sohnes und küsste ihn auf die Stirn. Der Bruder ließ sich zwar nicht blicken, aber das war ein Verlust, der durchaus zu verkraften war.
    Alexej Woinowitsch benahm sich wie vorausgesehen: er rang die Hände, dankte Gott und konnte seine Tränen nicht verbergen.
    »Endlich!«, rief er. »Mein Engel! Mein Wohltäter! Oh, was für ein einzigartiger Glückstag!«
    Und so weiter und so fort. Mutter hörte ein wenig zu, war gerührt und ging ins Wohnzimmer. Vondorin schlang geduldig den roten Mantel um seinen Leib und wartete, bis die elterliche Liebe weniger heftig sprudelte. Die Wachleute traten von einem Bein aufs andere und wärmten sich ein wenig auf.
    Als er eine Pause in Vaters Entzückensschreien erwischte, zog Mitja Daniel näher zu sich heran und stellte ihn vor:
    »Hier, Vater, hier ist der, bei dem Ihr Euch bedanken müsst dafür, dass Ihr mich seht. Das ist mein . . .«
    Aber Vater war schon wieder in Fahrt gekommen und dachte nicht daran zuzuhören:
    »Ich danke dir, guter Polizist! Du hast mir meinen Sohn und damit das Leben wiedergegeben! Mach die Hand auf!«
    Verwundert streckte Vondorin seine großen Hände aus, und Alexej Woinowitsch holte eine Hand voll Tscherwonzen aus seiner Tasche. Und sagte:
    »Na, nimm! Für dich ist mir nichts zu schade!«
    Daniel musste die Finger hochbiegen und eine Mulde mit der Hand bilden, damit das Gold nicht auf den Boden fiel. Er wollte etwas sagen, aber wie sollte man denn zu Wort kommen, wenn Vater so in Fahrt war?
    Mitja staunte nur und wusste nicht, wie ihm geschah: Wie kam es, dass Vater so reich war?
    »Was für ein Glück, was für ein Glück!«, wiederholte Alexej Woinowitsch ein über das andere Mal und schluchzte. »Weißt du, mein guter Sohn, dass die Kaiserin dich zu sich holen will? Sie sehnt sich nach dir, versteht nicht, womit sie dich beleidigt hat, warum du weggelaufen bist. Aber sie zürnt nicht, sie zürnt kein bisschen! Frag mal, wen sie dich holen geschickt hat! Nicht einen Kurier oder Flügeladjutanten! Nein, den Herrn Maslow höchstpersönlich! Den Geheimrat! So sorgt sie sich um dich! Und das alles, weil du nicht ein einfacher Junge, sondern der geliebte Zögling Ihrer Majestät bist, eine Staatsperson! Ach, ich gehe gleich zu Prochor Iwanowitsch und überbringe ihm diese freudige Nachricht! Wir sind gerade eben erst vom Abendessen aufgestanden und haben uns Gute Nacht gewünscht. Er ist bestimmt noch nicht im Bett. Und selbst wenn!«
    Und Vater stürzte ins Haus.
    Ach, deshalb schläft hier niemand, wurde Mitja da klar. Weil der hohe Staatsmann aus der Hauptstadt zu Gast war.
    Das schmeichelte ihm und war ihm angenehm. Ob sich wohl in Russland noch ein Junge fände, dessentwegen man den Chef der Geheimexpedition eine Strecke von sechshundert Werst zurücklegen lassen würde? Nein, da braucht ihr gar nicht zu suchen, einen zweiten solchen Jungen gibt es nicht!
    »Euer Wohlgeboren«, klagte einer der Wächter, »erlaubt, dass ich mich entferne, die Notdurft verrichten, ich kann nicht mehr.«
    Daniel winkte ablehnend ab – und der Wächter wagte es nicht, sich zu rühren.
    »Gehen wir, Daniel Ilarionowitsch«, forderte Mitja ihn auf. »Ich sage, man soll Euch in Vaters Arbeitszimmer unterbringen.«
    Vondorin rief aus:
    »Du edle Seele! Du denkst an meine Bequemlichkeit, obwohl ich dich doch fast zugrunde gerichtet hätte und es dir verwehrt habe, dich von der Schönsten aller Frauen zu verabschieden! Wie schade, dass ich von deiner Gastfreundschaft keinen Gebrauch machen kann, mein Lieber! Ich habe einen Diener des Gesetzes geschlagen und muss die verdiente Strafe auf mich nehmen. Das habe ich unseren ehrlichen Reisegefährten versprochen. Ich gehöre in den Kerker.«
    »Ich brauche doch Prochor Iwanowitsch nur ein Wort zu sagen, dann lässt die Polizei sofort von Euch ab! Das ist doch kein Staatsverbrechen, einen Büttel zu schlagen!«
    Mitja wollte schon zu Maslow laufen, aber Daniel hielt ihn davon ab.
    »Nein«, sagte er fest. »Von diesem stinkenden Köter will ich keine Nachsicht. Er ist schuld am Untergang meiner guten Freunde. Seinetwegen habe ich meinen Sohn verloren. Ich will dieses Ungeheuer lieber nicht sehen, ich riskiere sonst, ein weiteres, sehr viel schwereres Verbrechen zu begehen. Ich gehe jetzt. Ich habe keine Angst mehr um dich. Mit diesem Begleiter brauchst du nichts zu fürchten, und für deine zukünftige Ruhe sorgt Pawlina Anikitischna. Hier, gib deinem Vater das Geld

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