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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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näherten, wo Laternen brannten und die Bajonette der Garnisonsoldaten blitzten, sagte Daniel zu den Wachleuten, die zusammen auf dem Bock saßen:
    »Meine Lieben, ich wünsche euch nichts Böses, aber wenn ihr eure Kameraden zu Hilfe ruft, dann mache ich mit euch dasselbe, was ich mit eurem Vorgesetzten getan habe, nur etwas unsanfter.«
    »Wir denken nicht daran, Euer Wohlgeboren«, antworteten jene, »wir sind ganz friedlich.«
    Hinter Kunzowo drohte Mithridates von dem warmen Pelz und der schnellen, schlingernden Fahrt einzunicken. Vor seinem umnebelten Blick schwammen schon undeutliche Schimären, da bekam er auf einmal einen Stoß von seinem Reisegefährten.
    »Ich habe mich wieder vor dir schuldig gemacht!«, stöhnte er. »Oh, ich verfluchter Egoist! Ich habe nur an mich und meine Qualen gedacht, dich dabei aber ganz vergessen! Ich habe dich nicht von ihr Abschied nehmen lassen! Kannst du mir das verzeihen? Nein, kannst du natürlich nicht. He, stehen bleiben! Wir drehen um!«
    Mitja hatte größte Mühe, ihn zu besänftigen.
    Dann wurde er wieder irgendwo mitten in der Landschaft auf einem Schneefeld unter schwarzem Himmel wachgerüttelt. Er war nur einen kurzen Augenblick eingeschlummert, und Daniel sagte:
    »Wir haben schon Snegiri hinter uns. Wir kommen ohne dich nicht weiter. Du bist von hier und musst uns sagen, wo wir abbiegen müssen.«
    Sie waren an der Gabelung, wo der eine Weg nach Swenigorod und der andere nach Troiza führte. Von da hatten sie nur noch anderthalb Werst bis Trost. Sie waren also schon fast da. Von wegen einen kurzen Augenblick, er musste mehr als eine Stunde geschlafen haben.
    Vondorins Brauen glichen vereisten Nadeln, und von den Pferden stieg Dampf auf. Aber das Dreigespann war wirklich gut; es war kaum zu erwarten, dass die Troika auf einmal erlahmte.
    »Dahin«, zeigte Mithridates.
    Sollte er wirklich gleich zu Hause sein? Dann hätten alle Ängste, Prüfungen und Desaster ein Ende!
    Er war sofort hellwach. Mitja kniete sich hin und redete auf den Soldaten ein, der lenkte:
    »Schneller, bitte, schneller!«
    Und die Hufe der Pferde stampften schnell und schneller, aber Mitjas Herz pochte noch schneller als sie.
    Wie viel Uhr es wohl war: zehn oder elf?
    Natürlich würden in Trost alle längst schlafen. Aber das machte nichts, dann würden sie eben aufwachen. Was für einen Lärm, was für ein Geschrei es geben würde! Seine Mutter würde wohl kaum herauskommen – sie hatte nachts Kompressen im Gesicht und auf den Augen, um die Haut frisch zu halten. Aber die Amme Malascha würde bestimmt aufspringen und die anderen Diener ebenfalls, und Embryo würde wohl auch seine verschlafene Visage zeigen. Aber am meisten würde sich natürlich Vater freuen! Er hatte sich bestimmt fern vom Petersburger Glanz verzehrt und zu Tode gegrämt. Er würde im Kittel herausgelaufen kommen, mit Papierwickeln im Haar, er würde die Hände ringen, weinen und lachen und eine Frage nach der anderen stellen. Ach, wie wunderbar das alles war!
    Begeistert von seinen frohen Vorahnungen, hörte Mitja Vondorin nur mit halbem Ohr zu. Der redete und redete, war untröstlich über seine Schuld und versicherte ihm, er brauche nun keine Angst mehr zu haben.
    »Mach dir keine Sorgen, mein Lieber. Pawlina Anikitischna wird für deine Rettung einen Preis zahlen, der alles übersteigt, was eine Frau zahlen kann . . .«
    Daniels Stimme zitterte und ging in wirres Gestammel über:
    »Schweig, du Dummes, lass das Stöhnen!«
    Wen meinte er damit? Mitja blickte flüchtig auf seinen Kameraden, sah, dass in dessen Augen Tränen standen, aber da sauste das Gefährt aus dem Wald ins Offene, vorne zeigte sich das Gut, und – Wunder über Wunder! – die Fenster waren hell erleuchtet.
    »Sie schlafen nicht!«, schrie Mitja. »Sie warten! Vater hat es geahnt! Sein Vaterherz wusste es!«
    Er sprang vom Schlitten, der noch in Bewegung war; er war noch nicht vor der Treppe zum Stillstand gekommen.
    Das Gebimmel der Glöckchen lockte jemand in einem weißen Hemd mit Gürtel in den Flur (der Küchendiener Archip vielleicht?), er erblickte Mitja, staunte, schlug sich auf die Schenkel und lief zurück ins Haus.
    Und alles fiel noch besser aus, als er es sich auf dem Weg hatte träumen lassen.
    Vater kam nicht in einem Kittel, sondern in einem hochmodernen, in Petersburg gekauften Gehrock in den Flur gelaufen. Gelockt und mit Pomade eingeschmiert, unbeschreiblich schön. Auch Mutter schlief nicht; sie hatte ihr bestes Kleid an, war

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