Der Favorit der Zarin
zurück.«
Er hielt ihm die Goldtaler hin, aber Mitja hatte seine Hände auf dem Rücken versteckt.
»Wenn er sich so leicht davon getrennt hat, heißt das, er kann es sich leisten. Wahrscheinlich hat Prochor Iwanowitsch das Geld von der Zarin mitgebracht. Ihr steht doch ohne etwas da und könnt es gut gebrauchen. Betrachtet das Geld als von mir geliehen.«
Gerührt lächelnd steckte sich Vondorin die Tscherwonzen in die Tasche.
»Jetzt überschüttest du mich auch noch mit Geschenken. Wenn du einfach meine unbeabsichtigte Schuld vor dir verzeihen und mir versichern könntest, dass du keinen Zorn gegen mich hegst, wäre ich schon beruhigt. . .«
»Wenn Pawlina Anikitischna die Schönste aller Frauen ist, dann seid Ihr, Daniel Ilarionowitsch, der Schönste aller Männer«, sagte Mitja überzeugt. »Wenn Ihr nicht wollt, dass ich Maslow von Euch erzähle, dann erzähle ich der Kaiserin von Euch. Ihr werdet nicht lange im Kerker sein, das könnt Ihr mir glauben.«
Vondorin beugte sich herab und flüsterte ihm ins Ohr:
»Wem soll man denn noch glauben, wenn nicht dir? Hier, damit du ein Andenken hast.«
Und er steckte Mitja einen Zettel unter die Manschette des Kaftans. Dann wandte er sich den Wächtern zu und erklärte:
»Er hat mir verziehen! Jetzt stehe ich zu eurer Verfügung!«
NEUNZEHNTES KAPITEL
BRAVE NEW WORLD oder
SCHÖNE NEUE WELT
(Huxley, 1932)
Nicholas Fandorin war mit seiner Macht über seine Handlungen, sein Leben, ja seinen Tod am Ende. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Das Erste, was der Magister tat, als sie ihn endlich allein ließen, war, dass er versuchte, seiner schändlichen, andere gefährdenden Existenz ein Ende zu setzen. Sie hatten ihm die Handschellen und die Augenbinde abgenommen, und er sah, dass er sich in einem kleinen, spärlich möblierten Zimmer befand. Nicholas interessierte nur eins in diesem Raum: das hellgraue Quadrat des Fensters. Er stürzte zu ihm hin, als wäre es sein bester Freund.
Was für ein Glück! Das Zimmer lag oben. Sehr hoch oben.
Ein Viertel mit Neubauten, in der Ferne die Schlote eines Heizwerks, trübe Dämmerung. Irgend so eine Schlafstadt. Der Teufel soll sie holen. Hauptsache, bis zum Boden ist es weit, und beim freien Fall beschleunigt sich ein Körper um 9,81 Meter pro Quadratsekunde.
»Sterben, einschlafen und vielleicht träumen«, murmelte Nicholas verzweifelt und suchte nach einem Hebel.
Er konnte keinen finden.
Das Fenster hatte keinen Griff, es ließ sich nicht öffnen.
Er schlug wütend mit der Faust gegen die Scheibe; sie klirrte nicht, sie erzitterte noch nicht einmal. Das war der Moment, in dem Fandorin klar wurde, dass die Macht über seine Existenz an ein absolutes, unwiderrufliches Ende gekommen war.
Er setzte sich auf das Bett und schlug die Hände vors Gesicht. Er hätte losheulen wollen, aber er hatte es als Erwachsener verlernt zu weinen.
Wo Mira wohl war? Bevor sie ihm die Augen verbunden hatten, hatte er beobachtet, dass man sie zu einem anderen Auto brachte. Vielleicht war das Mädchen hier, in irgendeinem Nachbarzimmer?
Er sprang auf, klopfte an die Wand, erst an die eine, dann an die andere. Keine Reaktion. Ob sie nicht da war? Oder sich weigerte, mit dem Verräter zu reden?
In der nächsten halben Stunde drehte sich Nicholas im Kreis: Entweder er hockte auf dem Bett und brütete vor Selbsthass und Abscheu vor sich hin; oder er stürzte los und klopfte mal an die eine, mal an die andere Wand. Und kehrte wieder auf das Bett zurück . . .
Es gab da noch die verschlossene Tür, aber der näherte er sich nicht. Sie würde sich früher oder später schon von selbst öffnen.
So war es dann auch.
Die Tür öffnete sich. Auf der Schwelle stand der alte Bekannte, den Nicholas Plattnase getauft hatte. Dieselbe Visage wie vorher: stumpfsinnig, gefühllos. Er sagte nichts, sondern gab ihm nur mit einer Handbewegung zu verstehen, er solle mitkommen.
Sie gelangten in eine quadratische Diele, Fandorin orientierte sich schnell.
Eine typische Dreizimmerwohnung. Vor einer der verschlossenen Türen, in einem Sessel, saß ein anderer guter Bekannter: Max. Er nickte Nicholas zu und lächelte dabei ein wenig und das noch nicht einmal spöttisch, wie es schien. Das war wohl das Zimmer, in dem sich Mira befand. Sie musste das Klopfen gehört haben, hatte aber keine Lust gehabt zu antworten. Das war ja nicht erstaunlich . . .
Die Plattnase schubste den Gefangenen in die andere Richtung.
Er ging durch den Korridor am Badezimmer und Klo
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