Der Favorit der Zarin
einen Befehl und danach richte ich mich. Lasst mich durch! Und bedenkt, gnädiger Herr: Wer sich den Dienern des Gesetzes widersetzt, der wird selber zum Verbrecher. He, ihr da, schafft diesen Mann aus dem Weg!«
»Ich sehe«, sagte Daniel, an seinen jungen Freund gewandt, »in Russland hat man mehr Achtung vor der Wissenschaft als vor einem guten Wort.«
Mithridates wusste schon, was jetzt kam, und zog den Kopf ein.
Vondorin wandte die englische Wissenschaft mit Umsicht an. Den unteren Rängen ließ er nur ein bisschen Gelehrtheit angedeihen, das heißt, er gab beiden eins aufs Ohr, und zwar mit der rechten und mit der linken Hand. Schnell und leicht, und trotzdem fiel beiden die Hellebarde aus der Hand, und sie gingen zu Boden. Dem Offizier aber zeigte er es: Er haute ihm aus Leibeskräften gegen die Stirn, dass es krachte. Das war auch der Grund, warum der Hauptmann sich gar nicht erst setzte, sondern gleich hinlegte, und zwar mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen.
»Ich habe mich mit Gewalt den Dienern des Gesetzes widersetzt«, sagte Daniel traurig. »Den Dienern desselben Gesetzes, zu dessen Achtung ich immer aufrief. Der Hauptmann hat mich zu Recht vorgewarnt: Damit bin ich ein Verbrecher vor der Gesellschaft und habe die Verantwortung für mein Tun zu tragen.«
Die Wächter musterten ihn ängstlich von den Füßen bis zum Scheitel. Ihre lädierten Ohren (bei dem einen das rechte, bei dem anderen das linke) waren rot angelaufen und standen ab.
»Keine Angst, ihr aufrechten Diener«, beruhigte sie der Gesetzesbrecher. »Ich überlasse mich schon noch euren Händen und komme meiner Bürgerpflicht nach, aber vorher muss ich meine Pflicht als Mensch tun. Ihr seid doch mit mir einverstanden, dass letztere Pflicht über ersterer steht?«
»Na klar, Euer Wohlgeboren!«, schmetterte der eine der Wachleute.
Der Zweite nickte nur, tat das aber mehrmals und sehr eifrig.
»Na siehst du, Dmitri«, sagte Vondorin, dessen Gesicht sich aufgehellt hatte. »Mit Hilfe der Wissenschaft erreicht auch das gute Wort den Kopf der Leute sehr viel besser.«
»Aber nicht den Kopf des Hauptmanns Sobakin«, sagte Mitja und zeigte auf den bewusstlosen Körper.
»Um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich habe nur eine kleine Erschütterung in seinem Cranium bewirkt, von der sich die Hirnsubstanz erweicht. Das wird dem Dickkopf zum Nutzen gereichen, sein Hirn ist nämlich nicht elastisch genug. Meine Freunde, legt euren Vorgesetzten in einen Sessel. Ich mache ihm zwei kleine Einschnitte unter den Ohren, damit sich, was der Verstand verhüte, das Blut nicht in seinem Kopf staut. Ihr braucht keine Angst zu haben! Ich bin Arzt und weiß, was ich sage!«
Nachdem er den Verletzten versorgt hatte, legte Daniel den Wachmännern in bester Absicht die Hände auf die Schulter, aber beide zuckten sofort zusammen.
»Sagt mal, meine Lieben, seid ihr zu Fuß hierher gekommen?«
»Nein, Euer Wohlgeboren! Wir sind mit dem Schlitten gefahren.«
»Hervorragend. Ich habe eine herzliche Bitte an euch. Bevor ihr mich verhaftet, lasst uns dieses Kind zu seinen Eltern bringen. Kann ich mit eurem wohlmeinenden Verständnis rechnen?«
Die Antwort war positiv und zwar so prompt und so begeistert, dass Vondorin vor Rührung fast in Tränen ausgebrochen wäre.
»Dann fahren wir los!«, rief er aus. »Lasst uns keine Zeit verlieren, es ist ja schon nach sieben, und der Weg ist weit. Taugen die Polizeipferde etwas, Jungens?«
»Im Gebiet von Twer haben wir die besten Pferde von ganz Moskau!«
Im Vorzimmer forderte Daniel einen der Pelze des Fürsten für Mitja, einen möglichst kurzen, für sich selbst erbat er den Mantel eines der Polizeioffiziere, mit der Begründung, er lehne es ab, sich bei dem wortbrüchigen Hausherrn auch nur irgendetwas zu leihen. Die Diener, die bereits von dem traurigen Schicksal des Hauptmanns Sobakin Kenntnis hatten, führten Vondorins Anweisungen ohne jede Widerrede aus.
»Und Pawlina Auf Wiedersehen sagen?«, fragte Mitja leise.
Daniel schüttelte den Kopf und sagte:
»Nein, das ist nicht nötig! Nach dem, was zwischen uns gewesen ist . . . Und wenn man bedenkt, was sie erwartet . . . Nein, nein . . . Das Herz ist ein zerbrechlicher Mechanismus. Wenn man es einem Wechselbad von feuriger Hitze und Eiseskälte aussetzt, kann es platzen. Nichts wie weg von hier!«
Und er nahm Mitja an der Hand und rannte aus dem Haus. Die Wächter trotteten gehorsam hinterher.
Als sie sich der Vorstadt Dragomilowo
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