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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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oft habe ich das gesehen, und ich kann mich nicht satt sehen. Je länger ich dabei bin, desto interessanter wird es. Zuerst war ich erstaunt, dass du nie Vorhersagen kannst, wie jemand sterben wird. Es gibt den harten Kerl, den Rambo, der im letzten Augenblick wie ein Kind zu flennen anfängt. Oder das Gegenteil: den geduckten, fast geschlechtslosen Schlappschwanz, der auf einmal ein so gelassenes Lächeln an den Tag legt, so strahlend schön, dass du völlig hingerissen bist. Jetzt kann ich es allmählich Voraussagen, aber es kommt immer noch vor, dass ich mich irre. Bei Ihnen aber«, während sie das sagte, fixierte sie Nicholas prüfend, »bin ich mir sicher. Sie werden sterben wie ein Held, da lasse ich mich auf eine Wette um einen Zehntausender ein.«
    »Abgemacht!«, reagierte Oleg Stanislawowitsch prompt. »Also zehntausend Bucks.«
    Nicki musste zwar davon ausgehen, dass sie keine Witze machten, erschrak aber nicht sonderlich. Es war ohnehin klar, dass er hier nicht lebend rauskäme. Hauptsache, er konnte die Kinder retten.
    Jeanne taxierte ihn immer noch mit Feinschmeckerblick.
    »Er wird um nichts bitten«, prognostizierte sie. »Und erst recht nicht weinen. Er wird überhaupt nicht den Mund aufmachen, alles andere hält er für unter seiner Würde. Er wird die Augen schließen oder in den Himmel schauen. Er wird schön sterben. Und dafür, Nikolaj Alexandrowitsch, werde ich Ihnen dann danach einen Kuss geben. Das mache ich immer so, wenn jemand schön stirbt.«
    Als er sich diesen postumen Kuss vorstellte, fuhr ihm dann doch auf einmal heftig der Schreck in die Glieder. Und er dachte böse: Na warte, deine Zehntausend kannst du abschreiben, ich werde mit Absicht schreien wie am Spieß.
    »Komm, Kätzchen, es reicht«, sagte Jastykow. »Leg dich nicht umsonst ins Zeug. Du siehst doch, es ist angekommen, er ist im Bilde. Sie sind doch nun im Bilde, Nikolaj Alexandrowitsch, oder?«
    »Ja, ich bin im Bilde«, antwortete Fandorin, der Gefallen daran fand, wie nüchtern und ironisch das klang.
    »Da fehlt aber noch etwas«, sagte Jeanne und drückte die Zigarre auf dem Wachstuch aus – ein widerlicher Gestank kam auf. »Katerchen, vergiss nicht, wir müssen noch die Wette auf seine Tatarin abschließen.«
    Nicholas Fandorin hatte nie in seinem Leben (jedenfalls, soweit er zurückdenken konnte, seit seiner frühesten Kindheit) eine Frau geschlagen und hätte nie gedacht, dass er dazu imstande sei, nun aber stürzte er sich mit einem dumpfen, ganz unzivilisierten Brüllen auf die Gehilfin, um ihr die Seele aus dem Leib zu prügeln. Doch Jeanne parierte spielend leicht mit einem Handkantenschlag und traf sein Handgelenk, so dass seine Rechte sofort abstarb, schlaff herunterhing und er sie mit der Linken festhalten musste.
    Oleg Stanislawowitsch verzog das Gesicht.
    »Komm, geh und ruh dich aus. Ich will mit Nikolaj Alexandrowitsch unter vier Augen sprechen.«
    »Gut, dann kämpfen wir unser Duell eben nachher zu Ende, ja?«
    Die Meisterin warf Nicholas eine Kusshand zu, während sie ihrem Auftraggeber nur zunickte und die Küche verließ.
    Die Männer blickten ihr nach. Dann sagte Jastykow:
    »Lassen Sie sich nicht verrückt machen, Nikolaj Alexandrowitsch. Wenn Sie Ihre Arbeit ordentlich erledigen, wird Ihrer Familie kein Haar gekrümmt.«
    »Und mir?«, wollte Fandorin schon kleinlaut sagen, aber er verkniff sich die Frage. Die Antwort war doch klar. Wie hätten Sie denn einen solchen Zeugen am Leben lassen können?
    So begnügte er sich denn mit einem Nicken.
    Jastykow hatte den Sinn der Pause sehr wohl verstanden.
    »Es ist wohltuend, wenn man es mit einem beherrschten Menschen zu tun hat. Ich komme also zu dem Problem. Sofort nach Durchführung der Operation haben wir uns mit Kuzenko in Verbindung gesetzt und ihm die Sachlage erklärt. Selbstverständlich hat er ein Gespräch mit seiner Tochter gefordert. Er will sich davon überzeugen, dass sie unversehrt ist. Die normale Reaktion eines Vaters. Der Haken ist nur, dass die Tochter bockt. Wenn man ihr den Hörer hinhält, beißt sie die Zähne zusammen, und es kommt kein Ton über ihre Lippen. Als dem Kurzen klar wurde, dass das Telefongespräch mit seiner Tochter nicht zustande kommen würde, fing seine Stimme sogar an zu zittern. Das habe ich in der fünften Klasse zum letzten Mal gehört, wie seine Stimme ins Zittern kam; das war, als ich ihm das Maul mit Löschpapier gestopft habe. Wenn Mirat den Verdacht hat, wir hätten das Mädchen umgelegt, bricht er

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