Der Favorit der Zarin
Stanislawowitsch wich mit gespieltem Entsetzen zurück.
»Bitte ohne sexuelle Belästigung, Miss Bogomolowa! Unsere Beziehungen sind rein geschäftlich.«
Offenbar zeigte sich bei diesen Worten auf Nicholas Gesicht Verwunderung, denn Jastykow hielt es für nötig zu erklären:
»Haben Sie gedacht, Jeanne und ich wären ein Liebespaar? Nein, Nikolaj Alexandrowitsch. Erstens müssen die Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer platonisch sein, das gehört zum Einmaleins. Außerdem hätte ich Angst, mich mit dieser gefährlichen Person ins Bett zu legen. Ich bin doch nicht lebensmüde. Die lässt sich noch hinreißen und erwürgt mich. Oder erdrückt mich wie eine schlafende Bäuerin ihren Säugling.«
Jeanne lächelte und sagte:
»Und dabei hat er noch damit angegeben, er wäre ein sexueller Terrorist.« Sie sog an ihrer Zigarre und streckte sich wohlig. »Ach, Jungs, ihr habt ja keine Ahnung, wie toll es ist, mit einem Auftragsobjekt zu schlafen.«
»Mit wem?«, fragte Nicholas, der nicht verstanden hatte.
»Mit einem, den man bei dir in Auftrag gegeben hat, Das ist meine Lieblingsnummer. Gleichzeitig zum Höhepunkt kommen: ich krieg meinen Orgasmus, und er ist ein toter Mann. Eine unglaubliche Ekstase. Wissen Sie, warum ich mir für meinen Ausweis den Namen Bogomolowa, also Gottesanbeterin, ausgesucht habe? Weil die Gottesanbeterin sofort nach der Kopulation dem Männchen den Kopf abbeißt. Happ, happ!«, führte sie zähneklappernd direkt vor Fandorins Nase vor.
Der wäre vor Schreck fast vom Hocker gefallen. Während der Auftraggeber und die Auftragnehmerin einträchtig loswieherten, fiel ihm die Szene der gescheiterten Verführung im »Cholesterin« ein, und er zuckte zusammen.
Immer noch lachend küsste Jastykow Jeanne die Hand.
»Sie haben keine Ahnung, was für eine schreckliche Waffe diese feinen Hände und die lackierten Fingerchen sind. Komm, Kätzchen, zeig’s ihm mal.«
Herablassend lächelnd nahm Jeanne ein Glas und drückte es mit dem Daumen und dem kleinen Finger zusammen. Das Glas zerplatzte, die Scherben regneten auf den Tisch.
»In meinem Beruf ist es praktisch, eine Frau zu sein.« Sie blies eine Rauchwolke in die Luft und streifte die Asche in die Glasscherbe. »Damals auf der Landstraße, wären Sie da etwa auf den Jeep zugegangen, wenn nicht eine Frau am Steuer gesessen hätte? So eine superweibliche, hilflose? Meinen Dummköpfen sind Sie ein paarmal davongelaufen, aber mit mir haut das nicht hin. Ich habe Sie erst mal gestreichelt, bevor ich Ihnen die Krallen gezeigt habe.«
Fandorin hatte nie eine Frau getroffen, die auch nur im Entferntesten Jeanne ähnelte. Sie anzusehen und ihr zuzuhören, war schrecklich und faszinierend zugleich.
»Hören Sie, warum sind Sie so . . .?«, setzte er an. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, so grausam, so unmenschlich?«
Das Wort war ihm unpassenderweise rausgerutscht. Nicholas hatte Angst, Jeanne wäre beleidigt. Keine Spur, sie fühlte sich sogar sichtlich geschmeichelt und fragte:
»Sie wollen wissen, wie mein Motor funktioniert?«
»Was?«, fragte er erstaunt zurück.
»Jeder Mensch hat einen Motor, der alle seine Taten antreibt. Ich durchschaue diesen Motor sofort. Bei Oleg ist es die Bosheit. Da lebst du, mein Goldschatz, und bist dauernd böse auf die, die um dich herum sind. In der Krippe hast du den anderen Kindern die Spielsachen weggenommen, nicht weil du die Schaufeln und Autos brauchtest, sondern aus Bosheit. Jetzt nimmst du eben jemand die Aktien-Kontrollpakete weg. Ihr Motor dagegen, Nikolaj Alexandrowitsch, heißt Maßhalten. Sie wollen immer bei allem das Maß, den Anstand, die Regeln und so weiter wahren. Ich gehöre zur Gattung der Menschen, deren Motor die Neugier ist. Meistens werden solche Menschen als Jungen geboren, aber es sind auch Mädchen darunter. Als Kinder reißen wir Schmetterlingen die Flügel ab oder stechen einer gefangenen Maus die Augen aus, nicht aus Sadismus, sondern aus Neugier. Wir wollen sehen, was dann passiert. Wenn wir dann erwachsen sind, erstreckt sich unsere Neugier auf die unterschiedlichsten Dinge. Aus unseren Reihen stammen große Gelehrte und Entdecker. Oder wie ich: Spezialisten für interessante Situationen, wobei die allerinteressanteste der Tod ist. Ist es nicht wirklich so, dass das interessanteste Ereignis im Leben eines jeden der Tod ist?« Jeanne schaute lebhaft von dem einen Mann zum anderen. Beide schwiegen, nur Jastykow mit einem Lächeln, Fandorin ohne. »Wie
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