Der Favorit der Zarin
den dritten Weltkrieg vom Zaun. Zwar ist er Schachspieler, aber aus gekränkter Vaterliebe kann er auch mal die Maßstäbe aus den Augen verlieren . . . Um ehrlich zu sein: Ich war dafür, dem kleinen Miststück ordentlich die Ohren lang zu ziehen, aber Jeanne hat davon abgeraten. Sie meinte, die Kleine sei eine harte Nuss, ich sollte lieber Ihre Person einschalten, um sie umzustimmen.«
Oleg Stanislawowitsch drehte den Brillantring, der an seinem kleinen Finger steckte, und freute sich geistesabwesend am Spiel der Lichtreflexe.
»Sie meinte, wir quatschen ihn einfach voll und machen ihm Angst. Dann kuscht er schon. Aber, wissen Sie, auch ich kenne mich mit Menschen ein bisschen aus und sehe, dass man Ihnen am besten offen und ehrlich kommt und Ihnen sagt: das wollen wir, das zahlen wir. Also, bringen Sie Ihre Schülerin dazu, dass sie mit ihrem Vater spricht. Es ist ganz egal, was sie ihm erzählt. Hauptsache, er hört ihre Stimme.«
Fandorin sagte niedergeschlagen:
»Sie denkt, ich habe sie verraten, und wird sich weigern, mit mir zu sprechen.«
»Da habe ich natürlich keinen Einfluss drauf. Wenn Sie nichts in der Hand haben, sind mir ebenfalls die Hände gebunden. Dann müssen Sie eben mit Ihrem eigenen Fleisch bezahlen. Wie bei Shakespeare im Kaufmann von Venedig, erinnern Sie sich?«
Die Unterhaltung mit Mira verlief schleppend. Eigentlich konnte man es kaum eine Unterhaltung nennen; während Fandorin sprach, hockte seine Schülerin mit angezogenen Beinen auf dem Bett und starrte die Wand an. Nicholas sah sie im Profil: ihr vor Hass blitzendes Auge, die zerbissene Lippe. Sie drückte gegen ihren zarten Knöchel. Einmal hob sie ihre Hand, um sich am Ellenbogen zu kratzen, da sah Nicholas an ihrem Knöchel einen weißen Streifen – so groß war die Wut, mit der sie zudrückte.
Er war schrecklich aufgeregt. Er merkte selber, dass er ein entsetzlich wirres Zeug erzählte, das man unmöglich glauben konnte. Mira dachte auch gar nicht daran. Wahrscheinlich hörte sie gar nicht zu. Sie starrte weiter die Wand an und basta.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen . . . Bei euch allen. Ich Idiot bin in eine Falle getappt. . . Aber ich habe dich nicht verraten, ehrlich«, murmelte er mit einer Stimme, die immer weinerlicher wurde. »Ich bitte dich, sprich mit deinem Vater. Wenn du dich weigerst, bringen sie dich um. Da bleibt ihnen nichts anderes übrig. . .«
Die einzige Antwort von Mira war, dass sie mit der Nase schniefte, weniger, weil sie die Tränen zurückhielt, wie es schien, sondern vor Wut.
Mit niedergeschlagener Stimme und schon ganz ohne Hoffnung sagte Nicholas:
»Ist denn so ein läppischer Chemiekonzern wirklich mehr wert als das Leben? Das ist doch ein Geschäft wie jedes andere auch. Dein Vater wird noch viele, nicht weniger lukrative machen. Das verstehe ich nicht. . .«
Ohne sich ihm zuzuwenden, knurrte sie verbissen:
»Wie solltest du das auch können.«
Er horchte auf. Gott sei Dank, sie hatte etwas gesagt!
Und so schnell wie möglich, bevor sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen konnte, sprudelte er los:
»Da gibt es doch nichts zu verstehen! Dein Vater verspricht sich ein dickes Geschäft, Jastykow auch. Mirat Leninowitsch ist vielleicht ein wenig wählerischer in seinen Mitteln, aber er ist auch kein Engel. Du bist schließlich kein kleines Kind mehr und hast selber Augen im Kopf. Dein Vater ist Unternehmer; es geht ihm um Geld, und zwar um viel Geld. In unseren Dschungeln kommt man nicht an viel Geld, wenn man seine Zähne nicht gebraucht und sich nicht die Hände schmutzig machen will.«
»Es geht nicht um das Geld«, unterbrach ihn Mira.
»Worum denn?«
»Darum, dass man den eigenen Leuten nicht in den Rücken fällt. Das hat mir Robert Aschotowitsch beigebracht. Vater hat gewartet, hat gehofft, und jetzt soll meinetwegen alles für die Katz sein? Da gehe ich lieber drauf!«
Sie schniefte wieder, diesmal aber bestimmt, weil sie die Tränen unterdrückte – sie wischte sich die Wange mit dem Ärmel ab und wollte gar nicht mehr damit aufhören.
Nicholas ging auf sie zu, setzte sich neben sie und hielt ihr ein Taschentuch hin.
»Du bist für ihn doch um ein Hundertfaches mehr wert als sämt-liche Kombinate zusammen«, sagte er leise. »Was soll ihm alles Geld der Welt, wenn er dich verliert?«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Ihre Schultern hoben und senkten sich krampfhaft, und Nicholas hätte das Mädchen umarmen, ihr über den Kopf streichen,
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