Der Favorit der Zarin
in unserem Russland diesen dummen Zeitvertreib? Zwar hörte die erlauchte Herrscherin Opern und Symphonien, aber mehr um der Erbauung und Geschmackserziehung der Höflinge willen; sie selbst nickte manchmal direkt in der Loge ein, erzählte man. Wir brauchen die Musik nicht! Alle in der Hauptstadt redeten nur von dem neuen Hobby Ihrer Majestät: dem Schachspiel. Viele rissen sich darum, diesen Denksport zu erlernen. Auch Vater kaufte ein Brett mit Figuren, eignete sich die kniffligen Regeln an – vielleicht ließe sich damit ja was machen? Leider nicht. Die Zarin hatte auch ohne Alexej Karpow jemand zum Schachspielen.
Aber wenn man Ihrer Majestät nun einen ganz ungewöhnlichen Partner anbieten würde: einen kleinen Jungen, einen Däumeling? Das wäre ein Kunststück, mit dem sich ein Mozart nicht messen könnte!
Bleich vor Angst, es könne schief gehen, zählte der Gutsbesitzer von Swenigorod seinem wundersamen Sprössling die Regeln dieses edlen Spiels auf, und es geschah natürlich ein Wunder, genauer: es geschah absolut kein Wunder, denn die Schachweisheiten waren für den in den farbigen Rechnungen gewieften Mitja ein Kinderspiel. Schon bei der ersten Partie errang der Dreijährige einen klaren Sieg über seinen Vater, und bald siegte er gegen alle ohne Ausnahme, obwohl er freiwillig auf seine Dame und den Turm verzichtete.
Von diesem Moment an änderte sich in der Familie Karpow alles von Grund auf, insbesondere für das jüngste Mitglied. Um ihn in allen dem Menschengeschlecht bekannten Wissenschaften zu unterrichten, wurde für den Herakles der Gelehrtheit ein halbes Dutzend Lehrer eingestellt, und die Fortschritte des jungen Mithridates (so nannten sie den früheren Mitja jetzt) übertrafen die kühnsten Hoffnungen des glücklichen Vaters. Einmal monatlich fuhren sie extra nach Moskau und kauften alle neuen Bücher, die Mitja sich wünschte. Von den Bauern in Trost und im fernen Dorf Karpowka trieben sie eine neue Abgabe ein, die für die Bücher bestimmt war: pro Kopf jährlich einen halben Rubel oder zwei Hühner oder drei Pfund Honig oder einen Sack getrocknete Pilze, je nachdem, wie der Älteste entschied.
Mitja war nun die Hauptperson des Hauses. Wenn er im Klassenzimmer saß, flüsterten alle. Wenn er ein Buch las, gingen alle nur auf Zehenspitzen und mit bloßen Füßen. Und da der neue Mithridates immer entweder lernte oder etwas las, wurde es in dem Haus in der Stadt still, man flüsterte wie bei einer Beerdigung.
Die Amme Malascha konnte den Jungen jetzt nicht mehr tyrannisieren. Wenn er nicht schlafen wollte, brachte sie ihn eben nicht ins Bett; wenn er seinen Brei nicht essen wollte, zwang sie ihn auch nicht dazu. Sie sorgte sich sehr um ihn und hatte Mitleid mit ihm. Einmal, als Mitja in Gegenwart von allen Hausbewohnern in der deutschen Sprache glänzte, die ihm schneller von den Lippen ging als seinem Lehrer, sagte die Amme traurig: »Wie schnell er leben will. Er hat wohl nicht lange zu leben, er hat’s am Herzen.« Vater hatte das gehört und ließ sie auspeitschen, damit sie das Unglück nicht heraufbeschwöre.
Natürlich gab es in Mitjas neuem Leben nicht nur Rosen, sondern auch Dornen. So ärgerte ihn der Bruder beispielsweise sehr, er war neidisch, dass der Kleine jetzt Erwachsenenkleidung trug: Hose mit Strümpfen, Gehrock und Weste. Mal kniff er ihn heimlich, mal zog er ihn an den Ohren, mal legte er ihm einen Frosch in den Schuh. Er nutzte es aus, dass Mitja der stoischen Philosophie anhing und Denunziation für unter seiner Würde hielt. Was konnte man von dem unverständigen Wesen schon erwarten? Von diesem Embryo.
Am Ende des Jahres war Mithridates so weit. Man hätte ihn in eine Kutsche setzen und direkt zur Kaiserin oder sogar zur Akademie der Wissenschaften bringen können, er hätte sich nicht blamiert. Die Sache verzögerte sich aufgrund von Kleinigkeiten, es ergab sich keine passende Gelegenheit. Wie sollte Alexej Woinowitsch den Jungen der Kaiserin vorführen und auch auf sich selbst aufmerksam machen? (Aus nahe liegenden Gründen war es nicht angebracht, Mutter mit an den Hof zu nehmen.)
Sie warteten noch zwei Jahre auf eine Gelegenheit, bis ihr Wohltäter Lew Alexandrowitsch Kukuschkin endlich nach Moskau kam. In der Zwischenzeit hatte Mitja die Große Enzyklopädie hinter sich gebracht und begeisterte sich für die Integralrechnung, was nach Vaters Ansicht nun wirklich überflüssig war. Alexej Woinowitsch fiel das Warten schwer, so schwer wie einem Vater, der
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